Newsletter Uni Tübingen aktuell Nr. 3/2012: Leute
Tübinger VWL-Professorin Claudia Buch ist neue Wirtschaftsweise
Die Experten des fünfköpfigen Gremiums beraten die Bundesregierung durch Gutachten
Professor Dr. Claudia Buch, Inhaberin des Lehrstuhls für Wirtschaftstheorie an der Universität Tübingen, wurde in den „Sachverständigenrat zur Beurteilung der Gesamtwirtschaftlichen Lage“ berufen. Die Volkswirtschaftlerin (45) ist dort als Beraterin der Bundesregierung tätig. Im Fokus stehe derzeit die Finanzkrise, sagt sie im Interview mit „Uni Tübingen aktuell“.
Wie kann man sich Ihre Arbeit im Sachverständigenrat für Wirtschaft konkret vorstellen?
Buch: Der Rat trifft sich einmal im Monat, darüber hinaus gibt es im Herbst die sogenannte „Kampagne“, eine Periode von mehreren Wochen, in denen das Jahresgutachten geschrieben wird. Aber auch über das Jahr hinweg ist der Sachverständigenrat beratend tätig, etwa in Form von Sondergutachten oder durch die Teilnahme an öffentlichen Anhörungen des Bundestags. Grundsätzlich sind alle Ratsmitglieder an der Erstellung des Jahresgutachtens beteiligt, aber natürlich gibt es Schwerpunkte der eigenen Arbeit. Ich beschäftige mich in erster Linie mit Fragen, die den Banken- und Finanzsektor betreffen. Hier geht es vor allem darum, die Eckpunkte für einen zukünftigen regulatorischen Rahmen der Finanzmärkte zu entwickeln, gleichzeitig aber auch die akuten kurzfristigen Probleme auf den Märkten nicht aus dem Blick geraten zu lassen.
Aus welchen Daten zieht der Sachverständigenrat seine Schlüsse?
Buch: Grundsätzlich zieht der Rat seine Informationen aus einer Vielzahl von Datenquellen und empirischen Untersuchungen, er kann auch bestimmte Sonderauswertungen und Expertisen in Auftrag geben. Eine wichtige Aufgabe des Rates ist die Erstellung von Konjunkturprognosen, die von der Regierung, aber auch von anderen Akteuren in der Wirtschaft genutzt werden. Hierzu nutzt der Rat Daten des Statistischen Bundesamtes sowie Informationen aus anderen öffentlich verfügbaren Quellen. Der Zugang des Rates zu Daten auch anderer Institutionen ist in der Regel sehr gut. Ich empfehle auch allen, die an allgemeinen volkswirtschaftlichen Daten interessiert sind, einen Blick auf die Homepage des Sachverständigenrates. Dort können zahlreiche nationale und internationale Indikatoren und Zeitreihen heruntergeladen werden.
Wo sehen Sie dringenden Handlungsbedarf – gerade angesichts der Finanzkrise und derzeitiger „Verteilungskämpfe“ in Europa?
Buch: Sie sagen es ganz richtig, die Finanzkrise steht natürlich derzeit im Vordergrund unseres Interesses. Kurzfristig wird es wichtig sein, die Banken zu stabilisieren. Schwache Banken sind ein Risiko für die Stabilität der Finanzmärkte, aber auch für das erforderliche wirtschaftliche Wachstum und die strukturellen Anpassungen in der Wirtschaft. Derzeit sind viele Banken in den Krisenländern auf eine Finanzierung über die EZB angewiesen, dadurch entstehen Risiken im Notenbanksystem. Eine Möglichkeit, dieses Problem anzugehen, wäre eine staatliche Rekapitalisierung der betroffenen Banken. Gleichzeitig muss aber auch dafür Sorge getragen werden, dass die eingesetzten Mittel möglichst zielgenau genutzt werden und sich, wenn erforderlich, auch die Geschäftspolitik der Banken ändert.
Kurzum: Reformen im Banken- und Finanzsektor sollten das Ziel haben, Anreize zu einer übermäßigen Verschuldung und negative Auswirkungen von Schieflagen bei den Banken auf die Realwirtschaft zu reduzieren. Aber Reformen der Finanzmärkte allein reichen nicht aus, um die derzeitigen realwirtschaftlichen Spannungen in Europa zu beheben. Zum Abbau makroökonomischer Ungleichgewichte sollten Strukturreformen auf den Arbeits- und Produktmärkten vorgenommen werden. Und im öffentlichen Sektor müssen Verschuldungsanreize durch strikte Einhaltung fiskalischer Regeln reduziert werden. Ich denke nicht, dass ein Ausbau fiskalischer Transfersysteme erforderlich ist, zumal es dafür vermutlich keine ausreichende politische Akzeptanz geben würde.
Sie sind in Forschung, Lehre und Politikberatung stark engagiert: Wie und wo tankt die Privatperson Claudia Buch zwischendurch auf?
Buch: Ganz klassisch: Bei gemeinsamen Aktivitäten mit Familie und Freunden, beim Lesen und bei Spaziergängen durch die Natur.
Das Interview führte Antje Karbe
Der fünfköpfige „Sachverständigenrat zur Beurteilung der Gesamtwirtschaftlichen Lage“ wurde 1963 mit dem Auftrag gegründet , regelmäßig die gesamtwirtschaftliche Lage Deutschlands zu begutachten. Seine Empfehlungen sollen sowohl Politikern als auch der Öffentlichkeit helfen, sich ein Urteil zu bilden.
Das Gremium berät die deutsche Bundesregierung in Form von Sondergutachten, durch die Teilnahme an öffentlichen Anhörungen des Bundestags, Konjunkturprognosen und die Jahresgutachten. Es wird von einem wissenschaftlichen Stab und einer Geschäftsstelle unterstützt und hat seinen Sitz im Gebäude des Statistischen Bundesamtes in Wiesbaden.
Weitere Informationen: www.sachverstaendigenrat-wirtschaft.de |
---|