Uni-Tübingen

Newsletter Uni Tübingen aktuell Nr. 3/2013: Leute

Eine tatkräftige und inspirierende Sozialpädagogin

Zum Tode von Professorin Dr. Maja Heiner ein Nachruf von Hans Thiersch und Rainer Treptow

Am 23. August 2013 ist Maja Heiner, die von 1992 bis 2009 Professorin für Sozialpädagogik am Institut für Erziehungswissenschaft der Universität Tübingen war, im Alter von 69 Jahren gestorben.


Ihr akademischer Werdegang war ungewöhnlich: Nach einem Studium der Geschichte, Politikwissenschaft, Anglistik und Romanistik in Freiburg war sie zunächst dort und dann in Bremen als Studienrätin tätig; nachdem sie sich seit ihrer frühen Studienzeit immer wieder leidenschaftlich in Praxisprojekten – beispielweise mit Obdachlosen – engagiert hatte, studierte sie in Bremen Soziale Arbeit an der Universität und promovierte dort. Sie übernahm eine Professur für Politik und Soziale Arbeit an der Fachhochschule Bremen, von wo aus sie auch für einige Jahre in das Landessozialamt Bremen als Referatsleiterin für Planungsaufgaben beurlaubt wurde.


1992 folgte sie dann dem Ruf an die Universität Tübingen. Die Antrittsvorlesung handelte von der Relevanz der Systemtheorie für Organisations- und Handlungsfragen der Sozialen Arbeit. Kritisch setzte sie sich mit der einseitigen Systemrationalität von Verwaltung auseinander und öffnete die Diskussion für die Fragen nach einem lebensweltorientierten Zugang. Hier lag ihr spezifischer Ansatz in der Frage nach dem Handeln der Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter, nach dem wissenschaftlich gestützten, methodischen, verantwortbaren, klar strukturierten, also effektiv und transparent organisierten Handeln in der Praxis. Die Klärung und Gestaltung solchen Handelns war ihr zentrales Projekt, das sie in ihren Arbeiten differenzierte und erweiterte.


Sie setzte bei den Fragen der Methoden und fallverstehenden Diagnostik an, kam zu den Problemen von Qualitätsbestimmung, Evaluation und vor allem auch Selbst-Evaluation und gelangte zu Konzepten der Professionalisierung und der Arbeitsstrukturen in den Berufsfeldern. Theoretisch ausholend und bestimmt durch die Zuwendung zu einer evidenzbasierten Sozialarbeitsforschung hat sie ihre verschiedenen Ansätze und Untersuchungen in ihrem Hauptwerk „Soziale Arbeit als Beruf“ zusammengefasst. In diesem breit angelegten und viel beachteten großen Entwurf einer Sozialen Arbeit als Handlungstheorie entfaltete sie ebenso eine Systematik der beruflichen Kompetenzen, die die Soziale Arbeit generell in ihrer Identität bestimmen. Von hier aus entwickelte sie die spezifischen Profile, in denen diese Kompetenzen sich in den unterschiedlichen Praxisfeldern, beispielsweise in der Kinder- und Jugendhilfe, der Familienhilfe, der sozialen Beratung, realisieren. In ihrer dann folgenden Buchreihe zur Handlungskompetenz hat sie dieses Konzept breit ausgelegt. In Kooperation mit vielen Kolleginnen und Kollegen hat sie das Panorama der Handlungsaufgaben in der Sozialen Arbeit entfaltet, belegt und in ausführlichen Fallstudien veranschaulicht. Dafür entwarf sie eine sehr eigene Methodik, in der sie das Besondere des Einzelfalles im Suchraster einer Typologie sozialpädagogischer Arbeitszugänge entwickelte. Ihr Interesse galt darin immer der Unterstützung von Fachkräften: Wie können Fallbesprechungen durch Einbeziehung vieler Blickwinkel verbessert und angemessene Unterstützung geplant werden? Wie können professionelle Helfer die Deutungswirklichkeit ihrer Adressaten respektieren und zugleich durch fachliche Expertise erweitern? Welche Formen der Evaluation des eigenen Handelns sind für die Fachkräfte praktikabel?


In dieser Vermittlung von Theorie und Fallarbeit ging Maja Heiner davon aus, dass das Verhältnis von Theorie und Praxis nicht hierarchisch ist, Theorie also nicht die Praxis belehrt. In beiden sollten sich weiterführende Einsichten entwickeln, die aufeinander bezogen werden müssen.


Maja Heiner war überzeugt von der Machbarkeit einer gelingenden Sozialen Arbeit. Dies aber war für sie gebunden an die Strenge einer verantworteten, gekonnten und reflexiven Zuverlässigkeit. Soziale Arbeit muss sich, ausgewiesen an Qualitätsstandards und Evaluationen, immer wieder auch in Praxiskonstellationen bewähren, die schwierig sind. Den einfachen und modellhaft schönen „Fallgeschichten“, wie sie weit verbreitet und für Lehre und Praxis so attraktiv sind, hat Maja Heiner sich immer wieder verweigert. Sie wollte und konnte es sich und anderen nicht auf Kosten der Sache leicht machen.


In ihren Vorhaben war Maja Heiner von imponierender Beharrlichkeit. Und von insistierender Genauigkeit, in immer neuen Angängen und Fassungen rang sie mit den Texten, bis sie ihrem Anspruch an Deutlichkeit entsprachen. Sie war in der Sache immer beharrlich, drängte auf Ergebnisse, auf Effektivität. Sie wollte sich nur da engagieren, wo reale Wirkungen absehbar waren, in der Lehre, in Forschungsprojekten, in Praxisprojekten. Ihre Sachlichkeit war aber immer verbunden mit eingehender Freundlichkeit, und: man konnte gut mit ihr streiten.


Maja Heiner war nicht nur im Institut und im Fach engagiert; in der Selbstverwaltung der Universität Tübingen war sie von 1996 bis 2003 als Frauenbeauftragte tätig und hat von da aus immer wieder auch Fördermöglichkeiten für Wissenschaftlerinnen initiiert.


Maja Heiner hatte im Fach noch viel vor, und Disziplin und Profession wären darauf angewiesen. Es ist bitter, dass sie dies alles nicht mehr realisieren kann. Es bleibt aber gut zu wissen, dass es ihr gelungen ist, ihr Lebensprojekt in seinem hohen Anspruch und in seinem Grundmuster zu Ende zu führen.