Uni-Tübingen

Newsletter Uni Tübingen aktuell Nr. 3/2018: Leute

Urgeschichte und Weltgeschichte

Zum Tode von Professor Dr. Hansjürgen Müller-Beck ein Nachruf von Miriam Haidle und Berrin Çep

Am 2. August 2018 ist nach kurzer Krankheit der weltweit bekannte Tübinger Urgeschichtsforscher Hansjürgen Müller-Beck wenige Tage vor seinem 91. Geburtstag gestorben.

Hansjürgen Müller wurde am 13. August 1927 in Apolda/Thüringen geboren und wuchs in Berlin auf. Dort besuchte er das humanistische Mommsen-Gymnasium, bis er im Frühjahr 1944 als Wehrmachtshelfer im II. Weltkrieg eingezogen wurde. 1946 konnte er seine Schullaufbahn in Gießen fortsetzen. Nach seinem Abitur 1949 entschloss er sich zu einem Studium der Soziologie, später der Ur- und Frühgeschichte, Ethnologie und Geologie, das ihn ab 1950 von Heidelberg über Bern, Fribourg/Schweiz bis nach Tübingen führte. 1955 wurde er dort mit einer Arbeit über „Das Obere Altpaläolithikum in Süddeutschland. Ein Versuch zur ältesten Geschichte des Menschen“ promoviert. Wenige Tage nach seiner Promotion heiratete er Katharina Beck, eine Mitarbeiterin des Bernischen Historischen Museums, die er während seiner Assistentenzeit von 1956-1959 bei Prof. Hans-Georg Bandi an der Abteilung für Ur- und Frühgeschichte des Bernischen Historischen Museums kennengelernt hatte. Fortan führte er den Doppelnamen, unter dem er in der Fachgeschichte bekannt wurde. Bald darauf kam auch Sohn Christian zur Welt.

An der Universität Freiburg/Breisgau habilitierte er sich 1965 mit „Das Blattspitzenpaläolithikum Nordeurasiens und Nordamerikas“. Mit seiner Berufung als Nachfolger auf den Lehrstuhl seines Doktorvaters Gustav Riek in Tübingen begann er nachhaltig die Fachgeschichte zu prägen.

1970 wurde neben der Vor- und Frühgeschichte ein eigenes Institut für Urgeschichte (Jägerische Archäologie) unter Müller-Becks Leitung an der Geowissenschaftlichen Fakultät der Universität Tübingen etabliert. Paläolithische Forschungen bildeten hier ebenso einen Schwerpunkt wie naturwissenschaftliche Methoden und Ethnoarchäologie. Diese neuen Ansätze sollten auch Eingang finden in die Gesellschaft für Ur- und Frühgeschichte, deren erster Vorsitzender er von 1971-1974 war. Dabei initiierte er die Archäologischen Informationen als überregionales Nachrichten- und Mitteilungsblatt der ur- und frühgeschichtlichen Archäologie im deutschen Sprachgebiet mit. Aufgrund seines großen geowissenschaftlichen Interesses engagierte er sich von 1980-1995 als Sekretär der Commission for the Palecology of Early Man bei der INQUA und fungierte 1986 bis 1989 als Präsident der Alfred-Wegener-Stiftung. Aus Sorge vor der Abschaffung seines Lehrstuhls überführte er das Institut für Urgeschichte drei Jahre vor seiner Emeritierung 1995 in die Abteilung Ältere Urgeschichte und Quartärökologie am neu konzeptionierten Institut für Ur- und Frühgeschichte.

Die wissenschaftliche Bandbreite von Hansjürgen Müller-Beck war enorm. Seine Grabungen führten ihn von einer Cortaillod-Siedlung am Burgäschisee in der Schweiz bis nach Bolivien, vom Mittelpaläolithikum des Speckbergs bei Ingolstadt bis zur Moschusochsenjagdstation Umingmak auf Banks Island, von den Faustkeilen bei Şehremuz im Euphrat-Tal bis zu einem Friedhof der Old Bering Sea Culture bei Ekven in Chukotka. Daneben trieb er die Vermittlung wissenschaftlicher Ergebnisse in Museen und Ausstellungen voran. Vom Einraummuseum aus Zeiten Rieks bis hin zum überregional bedeutenden Haus begleitete er das Urgeschichtlichen Museum Blaubeuren. Auf seine Anregung wurde 1988 die Gesellschaft für Urgeschichte (GfU) gegründet, als deren Vorsitzender (1997-2004) er Geld und Unterstützung für den Ausbau des Museums sammelte. Das Landesmuseum für Vorgeschichte in Halle beriet er bei der Entwicklung der Dauerausstellung. Dies alles und sein großes Interesse an philosophischen, gesellschaftspolitischen und historischen Themen machten ihn zu einem Universalgelehrten. An der Universität Tübingen gestaltete er als Leiter des Studentenwerks e.V. von 1970 bis 1974 die Planung des Studentendorfs auf Waldhäuser-Ost und als Schlossvogt von 1969-1995 die Renovierung und den Umbau des Tübinger Schlosses mit.

Müller-Becks große Neugier, Offenheit und Diskussionsfreude bis zuletzt inspirierten viele Studierenden und andere am Fach Interessierten. Er verstand sich als Kommilitone und Weltbürger und mischte sich ein, hatte immer ein offenes Ohr für seine Studenten und Studentinnen, kannte keinerlei Standesdünkel und hatte einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn. Wir werden ihn vermissen.