Uni-Tübingen

Newsletter Uni Tübingen aktuell Nr. 3/2021: Forschung

Geruchsverlust infolge einer COVID-19-Erkrankung

Tübinger Studie zur Erforschung der durch COVID-19 bedingten Anosmie von der Anatomischen Gesellschaft ausgezeichnet

Ein Forschungsteam am Institut für Neuroanatomie und Entwicklungsbiologie der Universität Tübingen hat den Verlust des Geruchsinns (Anosmie) im Zusammenhang mit COVID-19 untersucht. Die Studie wurde Anfang 2021 in der Fachzeitschrift Cells Tissues Organs Anfang veröffentlicht und von der Anatomischen Gesellschaft als „Paper of the Month“ für den Monat Januar 2021 ausgezeichnet.  

Aktuell zählen neben Husten und Fieber auch Schnupfen, Müdigkeit und der Verlust des Geruchsinns zu den klassischen Symptomen einer COVID-19 Erkrankung. Neben dem Befall der oberen Atemwege werden zudem auch immer mehr Symptome bekannt, die starke Beschwerden im Magen-Darm-Trakt (Gastrointestinaltrakt) oder in den Harn- oder Geschlechtsorganen (Urogenitaltrakt) auslösen, sowie neurologische Symptome.

Im Rahmen der ausgezeichneten Studie haben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mit klassischen anatomischen Techniken und Immunfluoreszenz-Analysen – hier werden Proteine mit Hilfe eines Antikörpers markiert und somit sichtbar gemacht – verschiedene Gewebe des oberen Atemtraktes auf die Bildung (Expression) der beiden Viruseingang-Proteine ACE2 und TMPRSS2 überprüft. Diese beiden Proteine sind essentiell für die Bindung der SARS-CoV2-Viren an die Zielzellen und ermöglichen den Eintritt und damit auch die Vermehrung des Virus in den Zellen. Aus frühen Forschungsergebnissen zu Viren wie MERS und SARS ist bekannt, dass diese Proteine in hohem Maße in den Zellen des oberen Atemtraktes vorkommen. Folgende Fragen stellte sich das Forschungsteam im nächsten Schritt in Bezug auf den Geruchsverlust: In welchen Bereichen des Nasengewebes und wo genau in der Zelle lassen sich diese Proteine identifizieren?

Mit Hilfe von Körperspenden konnte ein vollständiger Schnitt durch die Nasenhaupthöhle mit angrenzendem Gewebe gemacht werden. Dabei wurden verschiedene Areale des Nasengewebes – das Flimmerepithel, die mittlere Nasenmuschel, die Nasennebenhöhlen und das Riechepithel –, aber auch der sehr schwer zugängliche Riechkolben detailliert untersucht. Auf Grund von histologischen und Immunfluoreszenz-Färbungen konnte in der Studie gezeigt werden, dass ACE2 und TMPRSS2 in den drei erstgenannten Arealen, den sogenannten respiratorischen Epithelien, in den jeweiligen Basalzellen und den Flimmerepithelzellen sowie in den Drüsenzellen der Nasenschleimhaut vorkommen. Im Riechepithel dagegen zeigte sich diese Expression ausschließlich in den Stützzellen und Drüsenzellen, jedoch nicht in den Geruchssinneszellen. Die Informationsweitergabe und Verschaltung dieser primären Geruchssinneszellen (Geruchsneurone) erfolgt über kleine Fortsätze (Axone) in das Gehirn, genauer in den Riechkolben. Hier konnte in der Studie die Expression von ACE2 in der glomerulären Schicht identifiziert werden, die aber keine Übereinstimmung mit den Geruchsneuronen zeigte. 

Mit Hilfe dieser Ergebnisse kamen die Tübinger Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zu dem Schluss, dass der Geruchsverlust vermutlich nicht durch eine direkte Schädigung der Geruchsneurone geschehen kann, da diese Zellen nicht positiv für die Viruseingang-Proteine ACE2 und TMPRSS2 sind. Es ist vielmehr möglich, dass das SARS-CoV2-Virus in die benachbarten Stützzellen oder Drüsenzellen eindringt, wodurch zum einen die Funktion dieser Zellen gestört wird und zum anderen bei geschädigten Stützzellen das Odorant-Bindeprotein oder der Riechschleim nicht zur Verfügung steht, welche essentiell für die Bindung der Duftstoffe (Odoranten) an die Geruchsneurone ist. Damit könnte sich der virusbedingte Geruchsverlust (Anosmie) erklären lassen. 

Maximilian von Platen

Originalpublikation: Moritz Klingenstein, Stefanie Klingenstein, Peter H. Neckel, Andreas F. Mack, Andreas P. Wagner, Alexander Kleger, Stefan Liebau, Alfio Milazzo: Evidence of SARS-CoV2 Entry Protein ACE2 in the Human Nose and Olfactory Bulb. In Cells Tissues Organs 2020;209:155-164 https://doi.org/10.1159/000513040