Atlas eines ängstlichen Mannes – so heißt Christoph Ransmayrs neuestes Werk, ein „Weltbuch, das in Bildern von atemberaubender Schönheit Leben und Sterben, Glück und Schicksal der Menschen kartographiert“ (S.Fischer). Dabei ist Christoph Ransmayr mitnichten ein furchtsamer Autor: Ihm und seiner „außergewöhnliche[n] Sprachbegabung“ (Süddeutsche) gehören die ganz großen Themen. In der Letzten Welt, im Schrecken des Eises und der Finsternis, im ewigen Moor spielen seine Geschichten, immer dort also, wo sich Weglaufen verbietet oder schlicht unmöglich wird.
Die Brüder Liam und Pad suchen in Tibet eine Leerstelle, den Fliegenden Berg, einen letzten „makellos weißen Fleck“ auf der Landkarte, „in den wir dann ein Bild unserer Tagträume einschreiben können“. Es ist eine Reise auf Leben und Tod, an deren Ende Liam seinen entkräfteten kleinen Bruder ins Leben zurückerzählen wird: „Aus einer allmählich schrumpfenden Ferne/hörte ich ihn erinnerst du dich...,/weißt du noch sagen/du mußt dich erinnern, erinnere dich.“
Und auch Josef Mazzini, der Protagonist in Die Schrecken des Eises und der Finsternis, macht sich auf den Weg. Der „schwierige“ Sohn eines Tapezierers und einer Miniaturmalerin ist auf der Jagd nach dem realen Bodensatz jeder Fiktion. Die Nordpolexpedition Carl Weyprechts wird er nicht nur lesend recherchieren, er wird sie nachholen – und in ihr verschwinden. Die Expedition „Mazzini“ endet „inmitten papierene[r] Meere“, denen „der Trost des Endes fehlt“. Metaphysische Epiphanien im Eis? Fehlanzeige. Bloß die Erfahrung einer Zeit, die „beginnt, langsamer zu werden“, und in „Leblosigkeit“ mündet.
Ransmayr bekennt sich emphatisch zur Literatur als einem Ort, der nicht ins Nebensächliche ausweicht: „Es gibt wahrscheinlich kein Erzählen, jedenfalls keines, das diesen Namen verdient, in dem es nicht irgendwann um Leben und Tod ginge.“ Erzählen ist immer auch die Begegnung mit dem Fremden per se, das sich letztlich nicht einholen lässt, das immer auch schon verschwunden ist, weil jeder Zugriff, jede bescheidene Beobachtung es zu deformieren droht.
Furchtlosigkeit, gepaart mit „skrupelloser Phantasie und Weltläufigkeit“ (Süddeutsche Zeitung) sind es, die Ransmayr zu einem „Poeten in extremis“ (ZEIT) machen. Péter Esterházy warnt gar ein wenig vor der Sogwirkung der Lektüre: Auf alle Fälle solle man Ransmayrs Texte „vorsichtig lesen, es könnte leicht geschehen, daß wir uns sonst in Romanhelden verwandeln“.
Christoph Ransmayr ist eine „Ausnahmeerscheinung in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur“ (ZEIT). Der Philosoph, Dichter, Bergsteiger und Kosmopolit wurde 1954 in Wels/Oberösterreich geboren. Nach einigen Jahren in Irland und unzähligen Reisen – unter anderem mit Reinhold Messner – lebt er heute wieder in Wien. Er ist, so meint auch Felicitas von Lovenberg „ein Solitär. Alle Wege, die er geht, sind eigene.“
Bibliographie (Auswahl):
Die Schrecken des Eises und der Finsternis. Wien/München 1984.
Die letzte Welt. Nördlingen 1988.
Morbus Kitahara. Frankfurt am Main 1995.
Die Verbeugung des Riesen. Vom Erzählen. Frankfurt am Main 2003.
Der fliegende Berg. Frankfurt am Main 2006.
Atlas eines ängstlichen Mannes. Frankfurt am Main 2012.
Wenn es so etwas wie eine Archäologie der Literatur oder der Kultur gibt, dann ist Raoul Schrott ihr einziger legitimer Vertreter. Sein Ziel sind dabei die Anfänge, die Ursprünge der Kultur. Schrott verteidigt – gegen heftige Kritik und Widerspruch aus so ziemlich allen Lagern des akademischen Betriebs – seinen Gestus des Universalgelehrten gegen die moderne Spezialisierung. Für ihn gehört Reisen zur Bildung wie im 18. Jahrhundert und die Beherrschung unzähliger Sprachen ist Voraussetzung und nicht Ergebnis von globalem Denken. Schrotts Provokation liegt in der Überzeugung, dem imaginären Potential aller Wissenschaft auf der Spur zu sein, oder vielmehr: die imaginären Fundamente der Wissenschaft mit Hilfe der Poesie zu erschüttern: „Denn das imaginäre Potential der Wissenschaft – die Art und Weise, wie sie ihre stets nur statistischen Daten zu einer Vorstellung, ihre Einzelwerte zu einer Gestalt verbindet – beruht auf fundamental poetischen Mustern.“
Raoul Schrott wurde 1964 in Landeck (Tirol) geboren. Aufgewachsen ist er in Tunis. Nach seinem Studium der Sprach- und Literaturwissenschaft in Norwich, Paris, Innsbruck und Berlin war er für kurze Zeit als Privatsekretär des französischen Surrealisten Philippe Soupault tätig. 1988 promovierte er mit einer Arbeit über den Dadaismus zum Dr. phil. Er habilitierte sich am Institut für Vergleichende Literaturwissenschaft der Universität Innsbruck und hat sich einen Namen als Herausgeber, Lyriker, Romanautor, Übersetzer und als Essayist gemacht.
Eine ausführliche wissenschaftliche Debatte löste er 2008 mit einer neuen These zu Homers Heimat. Der Kampf um Troia und seine realen Hintergründe. Ebenfalls 2008 erschien seine neue Übersetzung der Ilias. Neueste Publikation ist eine Geschichte aus der Psychiatrie: Das schweigende Kind (2012). Schrott drehte mehrere Filme und betreut seit 2010 das Radioprojekt „Die erste Welt“.
Bibliographie (Auswahl):
Finis Terrae. Ein Nachlaß. Innsbruck 1995.
Tristan da Cunha oder die Hälfte der Erde .München 2003.
Das schweigende Kind. München 2012.
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