von der Öffentlichkeit nur wenig beachtet hat die Bundesregierung vor einem Jahr die „Initiative Digitale Bildung“ gestartet. Bestandteile sind unter anderem der Aufbau einer Nationalen Bildungsplattform, der Digitalpakt Schule sowie der Aufbau einer Cloud-Lösung für digitale Lehr- und Lernangebote. Allein für den Digitalpakt Schule, mit dem die IT-Ausstattung von Schulen verbessert werden soll, stellt der Bund rund 6,5 Milliarden Euro zur Verfügung. FDP, Grüne und SPD haben sich in ihrem Koalitionsvertrag im Herbst 2021 darauf geeinigt, die entsprechenden Programme bis 2030 fortzusetzen.
Es dürfte kaum einen Lebensbereich geben, in dem die Potenziale der Digitalisierung so groß sind wie im Bildungsbereich. Zugleich dürfte es kaum einen Lebensbereich geben, in dem die Ängste vor den negativen Auswirkungen der Digitalisierung ähnlich groß sind. Dabei haben die vergangenen beiden Jahre eindrucksvoll gezeigt, was Bildungseinrichtungen mit einer guten IT gerade in Krisenzeiten zu leisten vermögen. Schulen und Hochschulen auf der ganzen Welt konnten während der Pandemie ihr Unterrichtsangebot nur dank einer fortgeschrittenen Digitalisierung aufrechterhalten. Und hunderttausende ukrainische Schüler, die aufgrund von Flucht und Vertreibung derzeit über halb Europa verstreut sind, halten dank digitaler Angebote erfolgreich Kontakt zu ihren Lehrkräften und erhalten Unterricht nach Lehrplan.
Vor diesem Hintergrund hat sich die Universität Tübingen entschlossen, ihre Anstrengungen auf diesem Feld nochmals zu verstärken und ein Zentrum für Digitale Bildung zu gründen. Unser Ziel wird es sein, mit dem Zentrum digital-gestützte innovative Lehr-Lernmethoden für unterschiedliche Zielgruppen zu entwickeln, zu erforschen und in die Praxis zu transferieren. Die am Zentrum tätigen Forscherinnen und Forscher werden ihren Fokus dabei nicht allein auf Schülerinnen und Schüler an allgemeinbildenden Schulen richten, sondern gemäß dem Grundsatz des lebenslangen Lernens auf Menschen aller Altersgruppen.
Das Zentrum kann dabei auf eine Vielzahl vor Ort bereits bestehender Strukturen und Kompetenzen aufbauen. Dazu zählen unter anderem die Tübingen School of Education, das LEAD Graduate School & Research Network, das Hector-Institut für Empirische Bildungsforschung, das Leibniz-Institut für Wissensmedien oder das Dr. K.H. Eberle Zentrum für Digitale Kompetenzen. Ein großer Vorteil Tübingens beim Aufbau des Zentrums ist nicht zuletzt die Stärke unserer Informatik, einschließlich der Künstlichen Intelligenz und des Maschinellen Lernens. Tübingen hat damit aufgrund seiner starken Bildungsforschung und aufgrund unserer enormen Potenziale im Bereich der Informationstechnologie gute Chancen, eine bundesweit führende Rolle auf dem Zukunftsfeld der Digitalisierung im Bildungsbereich zu spielen.
Digitale Medien beherrschen die Lebenswirklichkeit der meisten Schülerinnen und Schüler, auch wenn das unter Eltern und Großeltern nicht immer auf Begeisterung stößt. Der kluge Satz des Journalisten Günther Jauch bleibt unumstößlich wahr: „Bildung kann man nicht downloaden.“ Trotz aller Skepsis darf man aber nicht übersehen, dass die Digitalisierung des Bildungsbereichs – vielleicht zum ersten Mal in der Geschichte – die Chance bietet auf einen Zugang zu den besten Bildungsangeboten für alle Menschen, unbeeinflusst vom Einkommen, Wohnort oder sozialem Status. Die Digitalisierung des Bildungsbereichs kann damit einen wesentlichen Beitrag zu Chancengerechtigkeit und sozialem Zusammenhalt in unserem Land leisten.
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Ihr
Professor Dr. Bernd Engler, Rektor