Holy Island, genannt Lindisfarne, befindet sich an der Nordostküste Northumberlands in England. Wissenschaftler vermuten, dass die Halbinsel in der Nordsee der Entstehungsort dieses lateinischen Evangeliars ist. Das Kloster Lindisfarne, das dort 635 gegründet wurde, war nicht nur ein Wallfahrtsort, sondern auch eine Stätte für Künstler und Schreiber, sodass das Buch von Lindisfarne ein herausragendes Beispiel insularer [englischer?] Buchkunst ist.
Im Kolophon der Handschrift selbst wird die Person genannt, die das komplette Buch geschrieben und illustriert hat: Eadfrith, 698-721 Bischof in Lindisfarne. Angefertigt wurde die Handschrift als Reliquie zu Ehren des heiligen Cuthbert, der im 7. Jahrhundert zahlreiche Wunder gewirkt haben soll.
Der lateinische Text der vier Evangelien ist auf 259 Folios aus Kalbspergament geschrieben. Vorangestellt ist den Evangelien eine ganzseitige Miniatur des jeweiligen Evangelisten, eine wegen ihres Musters sogenannte Teppichseite mit der Funktion eines Frontispizes sowie Incipitseiten mit kunstvollen Zierinitialien. Die enthaltenen Ornamente und Verzierungen weisen die außergewöhnliche Bandbreite von 45 verschiedenen Farbtönen auf, bestehend aus tierischen, pflanzlichen und mineralischen Farbstoffen. Nach Einschätzung heutiger Schreiber würde die Anfertigung einer solchen Handschrift mindestens zwei Jahre ganztägiger Tätigkeit in Anspruch nehmen, neben den Aufgaben eines Bischofs dürfte dies aber eher ein ganzes Jahrzehnt gedauert haben.
Am 8. Juni 793 wurde das Kloster Lindisfarne von Wikingern überfallen. Dieses Datum wird allgemein als Beginn der Wikingerzeit angesehen. Aus Furcht vor weiteren Überfällen verließen Bischof Eardulf und die Mönche das Kloster 875 und nahmen das Buch von Lindisfarne mit. Während dieser Zeit wurde das lateinische Evangeliar mit altenglischen Glossen versehen und enthält heute die älteste erhaltene Übersetzung ins Altenglische.
Die Originalhandschrift befindet sich im Besitz der British Library in London. Vom Faksimile Verlag Luzern wurde im Jahr 2003 eine Faksimile-Edition herausgebracht. Ein Exemplar der originalgetreuen Wiedergabe dieser Prachthandschrift wurde der Universitätsbibliothek Tübingen 2013 von Frau Lydia Stilz geschenkt.