Soziologie
Die Soziologie ist eine empirisch analytische Wissenschaft, die das Zusammenleben von Menschen in Gemeinschaft und Gesellschaft erforscht. Mit ihrer Hilfe können wir gesellschaftliche Prozesse beschreiben, verstehen und erklären. Soziologinnen und Soziologen untersuchen Sinn, Regeln, Strukturen und Funktionen sozialen Handelns ebenso wie den Wandel, dem Handeln und Strukturen unterliegen. Im Bachelorstudium Soziologie lernen Sie, zentrale Fragen der Soziologie mit Hilfe verschiedener Theorien und Methoden zu beantworten. Die im Studium erworbenen analytischen, methodischen und berufsfeldbezogenen Kompetenzen erschließen zahlreiche Berufsfelder in den Bereichen Forschung und Lehre/Bildung, Statistik und Marktforschung/Data Science, Journalismus, Beratung, Marketing, Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, Personalwesen, Organisation und in der öffentlichen Verwaltung in den Bereichen Sozial- und Stadt- und Regionalplanung sowie Referent/innentätigkeiten.
Veranstaltungen vor Ort im Wintersemester 2024/2025
Die Veranstaltungen können während des ganzen Semesters besucht werden (Mitte Oktober bis Ende Januar 2025)
DIenstag, 12.00 - 14.00 Uhr: Einführung in die Soziologie
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Mittwoch, 10.00 - 12.00 Uhr: Einführung in die Methoden der qualitativen Sozialforschung
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Aufgezeichnete Veranstaltung
Vorlesung Einführung in die soziologische Theorie
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hochschulreif. Der Tübinger Podcast zur Studienwahl
Folge #05: Soziologie
Womit beschäftigt man sich im Soziologiestudium? Welche Kompetenzen sind wichtig im Studium? Und in welchen Bereichen arbeiten Soziologinnen und Soziologen? Für unsere Folge zum Studienfach Soziologie haben wir Professor Dr. Jörg Strübing eingeladen. Er erklärt, was genau Soziologinnen und Soziologen untersuchen, wie soziologische Erkenntnisse gewonnen werden und für welche Zwecke sie praktisch nützlich sind. Wie immer berichten auch Studierende über ihre Erfahrungen rund ums Studium.
Listen
Christoph Jäckle (C. J.): Hallo Alexandra!
A. B.: Wir sind vom Team der Zentralen Studienberatung der Uni Tübingen und haben auch diesmal wieder einen Gast für euch im Studio. Heute wird sich alles um das Fach Soziologie drehen. Dazu haben wir uns Professor Jörg Strübing eingeladen. Jörg Strübing lehrt am Institut für Soziologie und ist dort auch Studienfachberater. Er kennt sich also bestens mit allem rund um das Fach Soziologie aus. Hallo Herr Strübing!
Prof. Dr. Jörg Strübing (J. S.): Hallo!
A. B.: Hallo, schönen guten Morgen! Herr Strübing, wir lassen an dieser Stelle immer zuallererst die Studierenden des Faches zu Wort kommen. Und die haben wir gefragt, warum sie sich für das Fach Soziologie entschieden haben.
Persönliche Motivation (1:00)
Studi 1: Für ein Studium der Soziologie habe ich mich entschieden, weil ich mich für Menschen interessiere, und zwar vor allem für gesellschaftliche Strukturen und Veränderungsprozesse. Besonders spannend finde ich, dass die Soziologie Teil der gesellschaftlichen Verhältnisse ist, die sie erforscht.
Studi 2: Ich habe nach dem Abi im Zivildienst den Eindruck gewonnen, dass es in einer Gesellschaft bestimmte Strukturen gibt, die auf die Handlungsspielräume der Individuen wirken. Und es kam mir so vor, als wäre die Soziologie eine gute Art und Weise, diese Strukturen zu untersuchen, weil sie immer das Individuum in ihrem Kontext sieht.
Studi 3: Ich habe damals vor dem Abitur schon sehr gern Editorials, Meinungen über Politik und Gesellschaft in den Medien gelesen und hatte nur eine ganz grobe Idee, dass ich so etwas gern lernen möchte. Aber welches Studienfach mir solche Inhalte beibringen würde, wusste ich überhaupt nicht. Und erst nach ein paar Semestern war ich mir sicher, dass ich das richtige Fach gewählt habe.
C. J.: Ja, Herr Strübing, die persönlichen Gründe, die wir hier gerade von den Tübinger Studierenden gehört haben, waren ja sehr unterschiedlich. Wie war denn Ihr erster spontaner Eindruck? Werden sich diese Erwartungshaltungen im Studium so bewähren?
J. S.: Ja, es ist interessant, wenn wir Menschen hören, die am Anfang dieses Weges in die Soziologie stehen. Dann kommen die oft mit dieser Idee: Da sind so Strukturen. Und dann sind da die Individuen und die Strukturen, die prägen die Individuen. Das ist schon mal ein schöner Startpunkt. Aber vor allen Dingen, weil wir dann in der Lage sind, sie auch nachhaltig zu irritieren in diesem Studium, weil das die Voraussetzung für Erkenntnis ist. Und sie werden dann im Studium vielleicht lernen, dass die Strukturen nicht irgendwelche Dinger sind, die da oben wie Gerüste über uns schweben und uns dann in einer bestimmten Weise formen, sondern dass Strukturen vielleicht doch etwas sind, was wir permanent in Interaktion miteinander tun. Und dann wird die Sache auch für uns soziologisch besonders spannend.
C. J.: Das ist quasi schon die allererste kurze Definition, was diese Strukturen eigentlich sind? Ein ständiger Interaktionsprozess zwischen Menschen?
J. S.: Zumindest ist das eine Sichtweise, die in der Soziologie vertreten wird. Die Soziologie ist, das muss man vielleicht immer gleich vorwegsagen, nicht so einfach wie manche Naturwissenschaft, wo es eine große Theorie gibt. Die wird gelehrt und dann weiß man das und alle wissen das Gleiche. Sondern die Soziologie hat eine Reihe unterschiedlicher Theorieperspektiven, die manchmal gegeneinander stehen, manchmal nebeneinander stehen, aber wenn alles gut läuft in einem fruchtbaren Austausch miteinander kommen. Und das macht das Fach spannend. Wir haben nicht die eine Meinung, das eine Wissen über Gesellschaft oder über Soziales, sondern wir haben unterschiedliche Blickwinkel, die jeweils theoretisch ausgeprägt sind und können von diesen unterschiedlichen Blickwinkeln Unterschiedliches sehen. Das macht das Fach, finde ich, sehr attraktiv.
C. J.: Zu den verschiedenen Blickwinkeln und Theorien kommen wir bestimmt noch. Aber noch mal zurück zur Studienwahl und die Motivationsgründe. Wenn wir jetzt schon gemerkt haben, vielleicht waren nicht alle Erwartungshaltungen, die genannt werden, schon perfekt zutreffend. Welche Fragen sollte man sich denn, wenn man jetzt gerade sein Abitur gemacht hat oder demnächst macht, stellen, um für sich selbst herauszufinden, ob Soziologie vielleicht das Richtige für einen ist?
J. S.: Das erste was man sich fragen muss ist, bin ich auf diesen Gegenstand, auf Soziales, die Gesellschaft, eigentlich hinreichend neugierig? Will ich das wissen? Wenn ich keine Neugierde für mein Fach habe, dann brauche ich gar nicht anfangen zu studieren. Wenn ich mich nicht für Menschen und für Interaktion, für soziale Prozesse und Strukturen interessiere, nachhaltig, dann macht es auch keinen Sinn.
A. B.: Und war es das, was Sie selber auch bewegt hat, dass Sie sich für das Fach entschieden haben? Oder was war Ihre Motivation? Wie sind Sie dazu gekommen?
J. S.: Also bei mir war es ein bisschen untypisch. Es war in den späten 70er-Jahren, schon eine Weile her, und damals in der Oberstufe wollte ich Sozialarbeiter werden. Ich wollte die Welt verändern, das wollte man so, da war Klimawandel nicht das Thema, aber soziale Ungerechtigkeiten waren wichtige Themen. Da wollte ich den Menschen helfen. Diese Helfermotivation hat mich nicht in die Soziologie getrieben, sondern in die Sozialpädagogik. Das habe ich angefangen und auch zu Ende studiert, aber irgendwie wuchs so ein Unbehagen, weil man immer so ein bisschen von der Hand in den Mund gelebt hat. Es ging immer gleich um praktische Maßnahmen, bevor man eigentlich verstanden hat, wie eigentlich so eine Gesellschaft funktioniert. Wie geht das eigentlich, dass man arm wird? Wie lebt es sich eigentlich, wenn man sogenannt „behindert“ ist? Oder all solche Fragen. Die wurden eigentlich gar nicht wirklich zu Ende bearbeitet. Es gab kaum theoretischen Hintergrund, nichts, was irgendwie kohärent war. Deswegen habe ich nach dem Studium entschieden, dass ich nicht in den Beruf einsteige, sondern noch mal ein Soziologiestudium anhänge.
C. J.: Da würd ich sagen, wir hören uns doch gleich mal von den Tübinger Studierenden an, wie so eine Studienwoche momentan bei ihnen aussieht, was sie da alles erwartet.
Studieninhalte (5:57)
Studi 1: Es ist so, dass man die Veranstaltungen besucht, dass man die Vorlesungen und Seminare vor- und nachbereitet. Das bedeutet eben vor allem viel zu lesen.
Studi 2: Typischerweise liest man jede Woche vor einer Seminarstunde einen bestimmten Text, dann wird im Seminar darüber diskutiert. Am Ende des Semesters schreibt man eine Hausarbeit dazu.
Studi 3: Zunächst mache ich mir einen Plan, was ich zu machen habe in dieser spezifischen Woche. Dann bereite ich die verschiedenen Kurse und Vorlesungen vor, also Texte lesen. Und dann sind die Kurse, die Nachbereitung der Kurse und zwischendurch immer wieder mal Gespräche und Diskussionen mit KommilitonInnen.
Studi 4: Grundsätzlich ist es so, dass man in Soziologie viel lesen muss, auf Deutsch und auf Englisch. Ich habe mich dazu dann oft mit anderen Studierenden ausgetauscht. Wir haben uns getroffen, über die Texte diskutiert, gemeinsam gelernt auf Klausuren, uns gegenseitig unsere Hausarbeiten korrekturgelesen.
A. B.: Wir haben jetzt schon gehört, das viele Lesen und auch der Austausch scheinen ganz wichtig zu sein. Wenn wir uns das Studium genauer anschauen, was lernen denn Studierende tatsächlich im Studium? Wie sieht das inhaltlich aus?
J. S.: Vielleicht knüpfen wir kurz beim Lesen an. Das ist in der Tat so, dass die Soziologie ein Fach ist, was viel mit Text umgeht, aber nicht nur rezeptiv. Also nicht nur, wir lesen und streichen an oder so etwas, sondern wir schreiben auch und sprechen natürlich viel. Sprache spielt eine wichtige Rolle in diesem Fach. Und dann, wenn es in die Inhalte geht, lernen wir natürlich auf allen Dimensionen, was den Gegenstand und die Erschließung des Gegenstands ausmacht. Wenn wir über Gesellschaft reden, dann müssen wir in der Tat über das reden, was schon als Strukturen anklang, aber natürlich auch über das, was als Individuum benannt wird. Wie kommt es eigentlich zu Individuen? Sind die einfach immer schon da? Also haben wir den handelnden Akteur oder so etwas immer schon? Oder muss der erst hervorgebracht werden? Und die Gesellschaft, ist die immer schon da? Oder muss die vielleicht auch permanent reproduziert werden, damit sie bleibt, damit sie existiert? Und wie macht man das eigentlich? Das sind alles inhaltliche Fragen, die wir uns erschließen. Wie können wir diese verschiedenen Aspekte von Gesellschaftlichkeit, über die wir im Alltag sprechen, ein bisschen systematisch verfügbar machen? Dabei hilft uns Theorie. Also das heißt, wir müssen auch wissen, was die Alten gedacht haben.
A. B.: Das ist quasi die Frage danach, wie die Studierenden eigentlich lernen. Das heißt das, was hinter dem vielen Lesen steckt. Erst mal zu schauen, was es so an Ansichten, an Gedanken gab?
J. S.: Ja, das ist aber nur der eine Teil. Man muss natürlich lesen. Die Theorie, wie sie sich aufgeschichtet hat über Jahrzehnte in der Soziologie, damit man ein Verständnis hat dafür, wie welche Probleme wo auftauchten, welche wissenschaftlichen Probleme aufgetaucht sind und wie man sie gelöst hat. Aber es geht auch um gegenstandsbezogenes Lesen. Also wir lesen über soziale Ungleichheit oder wir lesen über die Soziologie des Körpers. Oder wir lesen über die Konstruktion von sozialem Geschlecht. Da haben wir dann empirische Texte, auch Texte, die also Aspekte von Wirklichkeit methodisch einfangen, bearbeiten und dann präsentieren.
A. B.: Das heißt, das sind auch Fragen, die eventuell später die Studierenden auch selber bearbeiten, empirisch oder auch theoretisch?
J. S.: Ja, wer Soziologie in die Richtung betreibt, dort zu forschen, wird sich in einem dieser Themen oder in mehreren dieser Themenfelder wiederfinden und sich für irgendwas auch entscheiden müssen. Und Soziologie ist ein sehr großes Fach. Ich bin im Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Soziologie und wir haben 35 Sektionen, die alle unterschiedliche Gegenstandsbereiche unseres Faches abdecken. Es ist schon sehr breit und da findet sozusagen jede und jeder irgendetwas, worin er sich vertiefen kann. Das passiert natürlich über die Bildungsbiographie im Fach, nicht gleich am Anfang. Man muss sich nicht gleich im ersten Semester entscheiden „Ich mache jetzt Soziologie des Körpers“ oder so, sondern man entwickelt langsam ein Interesse für alles und arbeitet sich dann ein in diesen Bereich.
A. B.: Ja, vielleicht können wir die mal grob umreißen. Was sind denn so die großen Felder, die es gibt in der Soziologie?
J. S.: Na ja, ein großes Feld ist auf jeden Fall mal die Sozialstrukturanalyse, also dass wir uns und vor allem der Gesellschaft immer wieder klar machen, wie unsere Gesellschaft in großen Aggregaten geschichtet, sortiert und organisiert ist. Dass wir wissen, welche Milieus wo zu verorten sind, wie sie sich typischerweise verhalten, wie ihr Konsumverhalten ist. All solche Dinge interessieren uns natürlich. Das macht die Sozialstrukturanalyse. Die ist sehr oft verbunden mit Kompetenzen, vor allem im Bereich der standardisierten quantifizierenden Methoden also, wo man viel rechnet, viel Statistik macht und große Datensätze bewegt. Dann haben wir aber auch die Soziologie der Interaktion, wo wir uns sehr mikroskopisch, sehr detailliert und genau darauf beziehen, wie Menschen miteinander handeln. Das heißt, wie das eine Handeln an das andere anschließt. Woher weiß man eigentlich, wann man wie anschließen kann oder sollte? All solche Dinge wollen erforscht sein und das ist ein sehr spannendes Gebiet. Erving Goffman ist ein großer Name in dem Zusammenhang oder Harold Garfinkel. Das sind die Extrempole, könnte man fast sagen, in der Größendimension einmal makrostrukturell auf die Gesellschaft zu blicken, Sozialstrukturanalyse. Oder mikrosoziologisch drauf zu schauen, wie einzelne Prozesse verlaufen, wie Praktiken des miteinander Handelns aussehen, auch zum Beispiel wie man mit Dingen handelt und ob eventuell Dinge mithandeln. Wenn wir über künstliche Intelligenz reden, über selbstfahrende Autos, auch das sind soziologische Fragen, unter anderem wie eigentlich das Interaktionsverhältnis oder Interaktivitätsverhältnis zwischen Menschen und Dingen aussieht und was das für einen Einfluss wiederum auf die Gesellschaft haben kann.
A. B.: Wie man in der Soziologie arbeitet, haben Sie schon angerissen. Haben Sie da Beispiele, was typische Methoden sind, die man im Studium lernt oder wie man an bestimmte Sachen herangeht?
J. S.: Ja, die Soziologie ist, wie einer unserer Altvorderen Max Weber formuliert hat, eine Wirklichkeitswissenschaft. Abgrenzend gegenüber Philosophie, Logik oder solchen Fächern, haben wir immer einen empirischen Bezug auf einen bestimmten empirischen Gegenstand, die Gesellschaft, das Soziale, die Menschen und ihr Handeln miteinander. Und das heißt notwendig, wir brauchen Methoden, mit denen wir uns diese Wirklichkeit zugänglich machen können. Das ist gar nicht so einfach. Wir haben es, wie Alfred Schütz gesagt hat, mit Konstruktionen zweiter Ordnung zu tun. Das Ding, das wir erforschen, das erforscht sich oder deutet sich auf eine gewisse Art immer schon selbst. Wir haben als Alltagsmenschen immer schon ein Bild von uns und von den anderen und handeln auch auf der Basis dieses Bildes, das wir haben. Und das macht natürlich den Zugang schwieriger. Denn so positivistisch Herangehen im Sinne von „die Fakten sind die Fakten, so wie ich sie jetzt eingesammelt habe“, das funktioniert nicht. Sondern wir müssen uns immer fragen, was bedeuten diese scheinbaren Fakten, diese Daten, die wir da gesammelt haben? Dafür gibt es unterschiedliche Verfahren. Ich habe vorhin schon angedeutet, quantitativ und qualitativ ist eine große Unterscheidung. Wir lernen in unterschiedlicher Weise verbale, d.h. sprachliche Daten, zu produzieren oder einzusammeln, wie immer man das dann betrachtet. Sie kennen das von standardisierten Fragebögen, die man manchmal bekommt, meistens online heutzutage. Auch aus Interviews, wo wir wirklich hingehen und mit Leuten sprechen, die Leute zum Sprechen bringen, Leute ganze Biografien von sich erzählen lassen zum Beispiel. Oder wir lauschen Gruppendiskussionen, die wir angezettelt haben und gucken, wie die Leute da miteinander umgehen, wie sie ihre Argumente aufbauen und so weiter. Das sind solche Verfahren. Das Beobachten ist sehr wichtig bis hin zur Ethnographie. Das heißt, wir gehen teilweise für längere Zeit in irgendwelche Milieus, Organisationen, Bereiche der Gesellschaft und versuchen uns dort aus der Binnenperspektive zu erschließen, wie das eigentlich funktioniert. Wie es eigentlich ist, dass ich obdachlos sei. Das kann sich eigentlich keiner von uns vorstellen. Wenn man nicht hingeht, mit den Leuten redet, mit ihnen mitgeht, nicht auch unter der Brücke schläft, ohne sich anzubiedern, nur um zu sehen, wie das funktioniert, dann lernt man Dinge, die man anders nicht lernen kann. Und das ist auch ein wichtiger Bereich unserer Methoden, die wir zu vermitteln versuchen.
C. J.: Welche verschiedenen Arten von Prüfungsleistungen gibt es denn am Schluss, die Studierende erbringen müssen?
J. S.: Nun, im Laufe des Studiums haben wir unterschiedliche Prüfungsleistungen. Das reicht von Multiple-Choice-Klausuren nach großen Vorlesungen, über Hausarbeiten, über Essays, also kürzere Texte zu bestimmten Themen, und manchmal auch Arbeit mit Daten in einzelnen Veranstaltungen. Da macht man auch mal ein Stück Datenauswertung, was ein Teil der Prüfungsleistungen sein kann. Bis dahin geht das.
A. B.: Das führt mich zu einer Frage, die sicherlich wichtig ist: Wie viel Mathe muss ich denn können? Ist das ein wichtiger Teil im Studium der Soziologie?
J. S.: Es gibt zwei Bereiche neben der Lust an Sprache und Schreiben, die wichtige Kompetenzen sind oder Bereitschaften, die man mitbringen sollte. Wir brauchen keine Matheasse, die sind vielleicht sogar fast fehl am Platz. Aber wir brauchen Menschen, die keine Angst vor Zahlen haben. Manche haben eine hohe Affinität dazu, die machen vielleicht später eher standardisierte Sozialforschung, und manche haben da mehr eine passive Kompetenz. Man muss natürlich jede Statistik lesen können und verstehen, was gemeint ist. Nicht jeder muss jedes statistische Verfahren können. Dafür ist es wichtig, auch andere Verfahren zu erlernen, wie das Auswerten von qualitativen Daten, d.h. von Beobachtungsprotokollen und Interviewabschriften und so etwas. Das ist eine eigene Wissenschaft für sich.
A. B.: Sie haben auch schon einige Schnittstellen genannt zur Soziologie, beispielsweise Soziale Arbeit. Ich dachte auch an Politikwissenschaft oder Erziehungswissenschaft, Philosophie. Wir haben schon einiges gehört. Wie kann man denn die Soziologie klar davon abgrenzen?
J. S.: Noch ein kleiner Schlenker zurück. Historisch gesehen haben diese Fächer sich auseinander entwickelt oder so eine Art Ursuppe von wissenschaftlicher Neugier entwickelt, die zunehmend auf Gesellschaftliches bezogen war. Wenn man das aus der heutigen Perspektive sortieren will, kann man so viel sagen: Die Soziologie ist aus meiner Sicht immer die Grundlagenwissenschaft für alles Gesellschaftliche. Wenn ich verstehen will, wie Gesellschaft aber auch ihre Teilbereiche funktionieren, dann brauche ich soziologisches Grundwissen. Das brauchen Erziehungswissenschaftlerinnen genauso wie Politikwissenschaftlerinnen. Auch Sportwissenschaftler brauchen das interessanterweise für bestimmte Aspekte ihres Faches. Überall, wo Gesellschaftlichkeit in einem wichtigen Maße eine Rolle spielt, ist das wichtig.
A. B.: Man kann vielleicht festhalten, dass die Grenze nicht immer ganz klar zu ziehen ist und dass es Schnittstellen zwischen den Fächern gibt. Das sind ja oft auch die interessanten Zusammenstöße.
J. S.: Das ist auch, wenn ich das noch einwerfen darf, später wichtig für die Perspektive der Berufswahl. Wenn wir sehen, dass die Fächer gar nicht so scharf gegeneinander abzugrenzen sind, dann heißt das, dass auch die Berufsbilder nicht vollkommen klar gegeneinander abgegrenzt sind. Soziologie qualifiziert für ein relativ breites Berufsfeld, aber nicht für ein spezifisches.
Persönliche Voraussetzungen (19:06)
A. B.: Wir haben Studierende unter anderem gefragt, was sie denn am Studium so begeistert in ihrem Fach.
Studi 1: Was mich besonders begeistert am Studium der Soziologie ist, dass es sehr vielfältig und sehr spannend ist. Und man hat sowohl die Möglichkeit sehr große Fragen zu stellen, aber auch sich auf ganz kleine Fragestellungen zu stürzen und darin Expertin zu werden.
Studi 2: Vor allem gefällt mir, dass man lernt mit unterschiedlichen Perspektiven und Methoden umzugehen. Es gibt keinen festgelegten Kanon, was gelesen und gelernt werden muss. Man wird dazu angeregt, kritisch zu denken und zu hinterfragen. Auch in Seminaren wird viel diskutiert. Man lernt Alltagswissen zu hinterfragen. Wissen, von dem man dachte, das sehen doch alle so, ist doch klar, wie das ist.
Studi 3: Was mich am meisten begeistert ist, dass man theoretisch unbegrenzte Themenbereiche zu entdecken hat. Und man kann sich immer ein neues Thema aussuchen, was einen begeistert.
C. J.: Wir haben es gerade in den Aussagen der Studierenden gehört und von Ihnen vorhin auch schon in die Richtung: Die Themenvielfalt ist enorm groß. Ich stelle mir dabei die Frage, ob das zwar eine Chance für viele Studierende und für viele Forscher:innen bietet, aber bietet es auch die Gefahr für Studierende, sich irgendwann im Studium verlieren zu können?
J. S.: Die Vielfalt der Themen darf man nicht so denken, dass man alles wissen muss, sondern es geht eigentlich darum, dass man exemplarisch an bestimmten Feldern der Soziologie die Arbeitsweise des Faches kennenlernt, methodisch und theoretisch. Dann muss man sich natürlich auf die Bereiche beschränken, die das jeweilige Institut bietet. Jedes Institut in Deutschland hat einen unterschiedlichen fachlichen Zuschnitt. Sie finden immer irgendwo etwas nicht, aber irgendwo anders dann schon, was sie hier vielleicht vermissen würden. Man hat hier eine überschaubare Zahl von Feldern, die einem aufgetan werden, das reicht für ein Studium vollständig. Man lernt daran alles, was man lernen können sollte. Und man kann immer noch entscheiden, wenn man im Master studiert, ob man noch andere Bereiche der Soziologie kennenlernen will, die woanders geboten werden, oder ob man Bereiche von hier vertiefen will. Es ist nicht die Gefahr, sich zu verlaufen, aber man muss verstehen, dass man die Gegenstandsbereiche, die man hier anpackt, erst mal in der Ausbildung im Studium exemplarisch lernt. Dass es nicht darum geht, darin gleich die Expertin zu sein, sondern daran zu lernen, wie es funktioniert. Dann hat man ein Rüstzeug, mit dem man sich auch andere Felder gut erschließen kann.
C. J.: Wir hatten es vorher schon von der Mathematik als eine Voraussetzung, die man mitbringen sollte. Gibt es noch weitere?
J. S.: Ja, Lesen, Schreiben habe ich schon erwähnt und das sollte man nicht auf die leichte Schulter nehmen. Es ist wirklich wichtig, dass man Sprachen mag, dass man liest, auch neben dem Studium. Wenn man viel liest, auch Belletristik, dann kriegt man ein anderes Sprachgefühl. Das gilt übrigens auch für den anderen Bereich, der noch sehr wichtig ist für dieses Studium, Englisch. Sie brauchen Englischkompetenz! Von der Schule bringen Sie etwas mit, mehr oder weniger, aber Sie sollten die Neugier und die Bereitschaft haben, diese Englischkompetenz auch im Praktischen auszubauen. Also: Reden und Schreiben und Lesen. Das heißt zum Beispiel, man liest auch mal einen Roman auf Englisch, nur um das Sprachgefühl zu kriegen, und sperrt sich nicht, wenn eine Hausarbeit in Englisch geschrieben werden soll und übt daran einfach. Niemand ist am Anfang perfekt, aber die Bereitschaft sich mit der Sprache auseinanderzusetzen, ist wichtig.
C. J.: Wenn man Soziologie beispielsweise als Hauptfach studiert, muss man sich auch ein Nebenfach aussuchen im Bachelorstudium. Welche Nebenfachkombinationen sind da sinnvoll oder werden häufig gewählt?
J. S.: Sehr häufig sind natürlich die Nachbarfächer Politikwissenschaft und Erziehungswissenschaft. Wir haben noch die Empirische Kulturwissenschaft in Tübingen als eine Spezialität, die es nur ganz selten in Deutschland gibt. Auch das ist eine beliebte Kombination. Dann gibt es auch Menschen, die andere Kombis wählen, weil sie noch was anderes im Blick haben. Leute, die in den Journalismus wollen, machen vielleicht im Nebenfach Medienwissenschaften. Es gibt Leute, die naturwissenschaftliche Nebenfächer haben, weil sie irgendwas im Blick haben, was sie interessiert. Andere machen Theologie. Man sollte ja meinen, dass Theologie und Soziologie gar nicht zusammengehen, wenn wir Marx lesen und der sagt, Religion ist Opium des Volkes oder so etwas. Dann meint man, das geht nicht, aber es geht sehr gut zusammen. Genauso geht sehr gut zusammen Religionswissenschaften, wenn man aus einer wissenschaftlichen Perspektive auf Religiosität schaut. Das ist eigentlich ein Bereich soziologischen Denkens über Glauben und Religiosität. Da gibt es spannende Kombinationen. Wir haben hier in Tübingen eine große Vielzahl von Nebenfachmöglichkeiten und man ist damit nicht hundertprozentig festgelegt, wenn man dieses oder jenes Nebenfach belegt. Aber wenn man schon eine Idee hat, in welche Richtung man sich interessiert, ist es klug, ein Fach in diese Richtung zu wählen.
A. B.: Zur Evangelischen Theologie haben wir tatsächlich schon eine Folge aufgenommen. Also wen es interessiert oder wer da neugierig ist: Hört da gerne mal rein!
C. J.: Bei uns geht es in erster Linie um die Bachelor-Studiengänge und die bestmögliche Studienwahl dazu, aber das Thema Master ist natürlich auch wichtig und sinnvoll gleich mitzudenken. Würden Sie sagen, es ist wichtig, einen Master in Soziologie zu machen? Oder es ist für bestimmte Berufsfelder nötig?
J. S.: Grundsätzlich gilt wie in fast jedem Fach: Wenn man einen Master hat, dann kann man beruflich in der Regel höher einsteigen. Aber wir haben durchaus viele, die aus dem Bachelor nicht weitermachen mit dem Master. Es macht wahrscheinlich ein bisschen mehr als die Hälfte, die in Richtung Master geht, aber es geht auch ein nennenswerter Teil direkt in Beruf. Beruf, das heißt nicht in die Wissenschaft, dafür bräuchte man den Master. Beruf heißt zum Beispiel, dass man in Organisations- oder Personalabteilungen von Firmen wechselt oder in die Sozialadministration, also im Staat irgendwo aktiv ist. Oder dass man in Bildungseinrichtungen Bildungsarbeit macht, Fortbildungsgeschäft, Beratung all so etwas. Da gibt es eine große Vielzahl. Man kann auch von dort Richtung Journalismus loslaufen, muss vielleicht noch ein bisschen nachqualifizieren, praktisch und theoretisch. Da geht es schon los, aber in dieser großen Breite, die ich angedeutet habe. Der Master ist erforderlich, wenn man in Richtung Wissenschaft gehen will, eine Promotion anstrebt oder etwas in die Richtung, weil man im Master viel stärker die Forschungsmethoden lernt. Erst wenn man den Master gemacht hat, kann man wirklich auch selbstständig forschen, würde ich behaupten, und dann zum Beispiel eine Promotion angehen.
Berufsperspektiven (26:21)
C. J.: Dann würde ich sagen, widmen wir uns doch weiter dem Thema Berufsfelder, die nach dem Studium offen stehen, und hören uns an, was Tübinger Studierende für Vorstellungen haben, wo sie beruflich später landen könnten.
Studi 1: Danach kann ich mir zwei Richtungen vorstellen. Das eine wäre eher in Richtung Bildung, zum Beispiel als Referentin für Diversität. Ich habe auch schon ein Praktikum gemacht an der Landeszentrale für politische Bildung im Bereich Frauenpolitik. Oder ich gehe eher in Richtung Sozialforschung. Da habe ich auch schon ein Praktikum in einem Sozialforschungsinstitut gemacht.
Studi 2: Für mich ist es sehr spannend, das Fachwissen in Soziologie und vor allem in Ethnologie im journalistischen Bereich in der Berichterstattung anwenden zu können. Deswegen will ich mich in dem Bereich gern weiterentwickeln.
Studi 3: Ich möchte nach dem Studium in der Wissenschaft bleiben, möglicherweise als ein Sozial- oder Meinungsforscher in einem Institut oder an der Universität. Und ich fände die Arbeit mit Studierenden sehr spannend und die darin entstehende Atmosphäre des Austauschs. Deswegen fände ich das ziemlich cool.
A. B.: Gibt es im Studium viele, die sich innerhalb des Studiums erst orientieren? Diese diesen Zeitraum, diese Möglichkeit hat man?
J. S.: Ja, es kommen selten Menschen zu uns ins Studium, die am Anfang wissen, was sie wollen. Die erste Mühe besteht eigentlich darin, erst einmal deutlich zu machen, für was man sich eigentlich entschieden hat. Die Unterscheidung Sozialarbeit vs. Soziologie ist so eine stehende Redewendung bei uns. Wir haben am Anfang oft noch Studierende, die sagen: „Ja, ich studiere Soziologie, weil ich den Menschen helfen will." Das ist natürlich ein gutes Motiv, Menschen helfen zu wollen, aber das ist nicht primär das Anliegen der Soziologie. Die Soziologie versucht zu analysieren, wie Soziales, wie gesellschaftliche Prozesse verlaufen. Das ist hilfreich für die Gesellschaft und andere, die helfen wollen. Zum Beispiel in der Sozialarbeit oder in anderen Feldern, die brauchen dieses Wissen. Aber das ist nicht primär die Aufgabe der Soziologie, der Soziologinnen und Soziologen, praktische Hilfe zu leisten. Man muss die Orientierung klarkriegen. Dann kommen die Studierenden in Kontakt mit den verschiedenen Gegenstandsbereichen unseres Faches und finden in der Regel Dinge, die sie interessieren. Nach drei Jahren hat man in der Regel schon eine Vorstellung, wo man es spannend fände.
A. B.: Und wie kann zum Beispiel ganz konkret so eine Orientierung aussehen, wenn ich noch auf der Suche bin im Studium? Gibt es die Möglichkeit, Praxiserfahrung zu sammeln und wenn ja, in welchem Rahmen?
J. S.: Unser Studiengang hat ein Pflichtpraktikum. Man macht typischerweise so ungefähr im fünften Semester, wenn man schon ein bisschen Soziologie kann, ein mehrwöchiges Praktikum. Das ist verpflichtend. Man reflektiert das hinterher und schreibt einen Praktikumsbericht. Das ist für viele ein entscheidender Schritt, eine Verortung zu finden. Oft versuchen Leute, da wo sie ein Praktikum gemacht haben, die Richtung, die sie da ausprobiert haben, weiterzuentwickeln. Dann haben sie schon Anknüpfungspunkte für ein berufliches Netzwerk, erste zumindest. Das vereinfacht die Sache natürlich.
A.B: Wo Sie das jetzt schon anklingen lassen: Wie sind denn die Berufschancen? Wie leicht kommt man nach dem Studium in die Praxis?
J. S.: Mein Eindruck ist, von drohender Arbeitslosigkeit sollte man sich wirklich überhaupt nicht beeindrucken lassen. Das ist einfach nicht mehr der Fall. Wenn man sein Studium halbwegs ordentlich absolviert hat, dann stehen einem zwar nicht alle Türen offen, aber es stehen einem auf jeden Fall Türen offen. Es gibt keine nennenswerte Arbeitslosigkeit in unserem Feld, das war früher mal. Es gab Zeiten, da war es nicht so ganz einfach, als Soziologin oder Soziologe unterzukommen. Aber mittlerweile ist es aus meiner Wahrnehmung kein Problem mehr. Ein Problem ist eher, dass man in diesen drei Jahren seine Orientierung findet, wo man hin will und sich mit dem entsprechenden Nachdruck in dieses Feld hineinbegibt.
A. B.: Da Orientierung tatsächlich auch schon so ein Thema ist – das ist jetzt ein Experiment, diese Kategorie haben wir noch nicht gehabt – haben Sie, sagen wir, drei Stichworte für eine weitere Recherche? Das können Berufsorientierungssachen sein oder praktische Sachen oder auch ein Filmtitel oder irgendein Literaturtipp?
Insider-Tipps (31:04)
J. S.: Ja, da gibt es ganz Verschiedenes. Ich finde zum Beispiel für mich sehr inspirierend, einen alten Roman von Upton Sinclair, „Der Dschungel" heißt er. Und da geht es um die Zustände in der Fleischindustrie im Chicago der Boomzeiten, Al Capone Zeit und davor, als Chicago massiv gewachsen ist, unendliche Migrantenströme in die Stadt hineinströmten, es große Slums gab und riesige Fleischfabriken. In diesen Fabriken ging es ziemlich übel zu und Upton Sinclair hat es in Form eines Sozialreportage-Romans beschrieben. Ein Roman, der auch Wirklichkeitseffekte hatte, weil die Gesetzeslage in Chicago angepasst wurde und die Restriktionen für die Fleischindustrie massiv verschärft wurden, mit Hygienevorschriften und so. Das ist ein richtiger fullflashed Blick in die Mitte der Gesellschaft. Was passiert da eigentlich? Das finde ich interessant. Und wenn man sich angucken will, wie Soziologen und Soziologen arbeiten, könnte man auch etwas Altes angucken, nämlich einen Film, der heißt „Einstweilen wird es Mittag" von Karin Brandauer. Ein österreichischer Film. Da geht es um eine berühmte klassische Studie aus der Soziologie, die Marienthal-Studie, wo es um Arbeitslosigkeit geht. Ein ganzes Dorf wird plötzlich arbeitslos. Was passiert da eigentlich? Wie verändert sich die kleine Gesellschaft dieser kleinen Stadt im Angesicht einer plötzlich auftretenden allumfassenden Erwerbslosigkeit, weil alle Fabrikarbeiter auf einen Schlag entlassen werden? Hochgradig interessant, nicht nur was das Phänomen betrifft, sondern auch wie das Forscherinnen Team dort arbeitet. Daran kann man vieles lernen. Natürlich machen wir es heute nicht mehr so wie damals, aber man kann viele Grundprobleme der soziologischen Forschungsarbeit kennenlernen. Das finde ich sehr inspirierend.
C. J.: Das klingt spannend, den werde ich mir auf jeden Fall auch anschauen, den kenne ich noch nicht. Ich bin selber großer Filmfan.
J. S.: Ach so, dann natürlich noch Kitchen Stories, den vielleicht einige kennen. Kitchen Stories ist ein Film, der in Schweden und Norwegen spielt. Da geht es um einen schwedischen Küchenproduzenten, um eine Firma. Die wollen rausfinden, wie sie sich den Markt der alleinlebenden Männer erschließen können. Sie wissen aber nicht, was alleinlebende Männer in Küchen so treiben. Also rüsten sie ein großes Expeditionsteam aus, lauter Forscher. Die fahren mit einem Wagen, mit Caravan und einem Tennishochstuhl rüber nach Norwegen, vom Linksverkehr nach Rechtsverkehr nach Norwegen, und besuchen dort auf dem Land lebende einsame Männer in ihren dörflichen Häusern. Die bauen den Tennishochstuhl in der Küche auf, sitzen da oben und spielen sozusagen den neutralen Beobachter. Ja, sie gucken von oben nach unten, was die alle so machen, beobachten das, schreiben alles auf. Und dann kommt es natürlich zu Verwicklungen. Eigentlich sollen die ja keinen Kontakt haben mit „denen da unten“.
C. J.: Aber sitzen in der Küche.
J. S.: Aber natürlich gibt es dann Kontakt und es geht auch andersherum. Dann geht der Mann unten aus der Küche irgendwann in den ersten Stock bohrt ein Loch in die Decke und beobachtet jetzt den Beobachter. Faszinierend, ein wirklich toller Film, den wir auch immer gerne für unsere Studierenden zeigen.
A. B.: Ich hätte ja gedacht, dass auch Loriot noch mit drin ist, ich bin ja ein großer Fan und habe auch gesehen, dass Vicco von Bülow sogar Ehrenmitglied des Soziologieverbandes ist.
J. S.: Ich werde nicht müde das zu betonen, weil Vicco von Bülow tatsächlich jemand war, der einen hochgradig soziologischen Blick auf Gesellschaft hatte. Leider ist Loriot in der aktuellen Studierendengeneration nicht mehr ganz so bekannt. Aber es lohnt sich, unbedingt! Ich habe auch in jeder meiner Einführungen „Was ist Soziologie?“ für den Studientag immer einen Clip drin, von Loriot in der Badewanne. Meine Kollegin Maren Müller hat auch immer was von Loriot dabei, weil man daran so gut sehen kann, gerade auf dieser Mikroebene, wie Interaktion funktioniert, wie eins ins anders greift, wie bestimmte Vorurteile, die Kommunikation beeinflussen, welche Absurditäten dann auch daraus entstehen. Und dann ja, jetzt komme ich, glaube ich, schon mit diesem Zitat, das mir noch am Herzen liegt. Es passt nämlich hier sehr schön rein. Wenn man sich Loriot intensiv angeschaut hat, kann man eigentlich schon etwas erringen, was Peter L. Berger, ein Soziologe, die erste Stufe der Weisheit genannt hat. Die erste Stufe der Weisheit in der Soziologie ist, sagt er, dass die Dinge nicht sind, was sie scheinen. Und das finde ich, das kann man bei Loriot immer sehr schön sehen, weil es immer irgendwann umkippt und ins Absurde dreht.
C. J.: Dann würde ich sagen, wir nehmen das als schönes Schlusswort für diese Frage. Außer Alex, hast du noch eine Frage?
A. B.: Ich habe keine Fragen mehr und werde auf jeden Fall mit diesem Blick demnächst auch mal auf Loriot schauen.
C. J.: Und ich freue mich schon auf die Kitchen Stories und andere Filmvorschläge, die sie uns genannt haben. Und ich bedanke mich ganz herzlich, Herr Strübing, fürs Kommen und dass Sie uns und unseren Zuhörerinnen und Zuhörern Rede und Antwort gestanden haben und uns viel über Ihr Fach Soziologie erzählt haben.
J. S.: Ja, herzlichen Dank auch von meiner Seite. Ich würde alle, die sich für Soziologie interessieren, einladen unserem Instagram-Kanal zu folgen, wo wir immer wieder was Neues über das Fach Soziologie und über das Institut bringen. Da kann man, glaube ich, auch ein gutes Gefühl dafür kriegen, was Soziologie eigentlich ist.
A. B.: Können wir in den Shownotes verlinken.
C. J.: Wunderbar! Falls Ihr ansonsten noch weitere Infos zu unserem Podcast oder zur Uni Tübingen und den Studienmöglichkeiten benötigt, geht auf www.uni-tuebingen.de/hoschulreif
Da findet Ihr Infos zu unserem Podcast. Ansonsten, falls Ihr Fragen oder Anregungen habt, schreibt uns eine E-Mail an hochschulreif@uni-tuebingen.de
Shownotes
„hochschulreif“ spricht mit Prof. Dr. Jörg Strübing über die folgenden Themen:
01:00 Persönliche Motivation
05:57 Studieninhalte
19:06 Persönliche Voraussetzungen
26:21 Berufsperspektiven
31:04 Insider-Tipps
Insider-Tipps zur Soziologie:
Hier geht es zum Instagram-Kanal der Tübinger Soziologie: https://www.instagram.com/inside.soziologie/ und zur Seite der Deutschen Gesellschaft für Soziologie
Weitere zitierte Titel:
- Brandauer, Karin (Regie): Einstweilen wird es Mittag, Österreich 1988.
- Hamer, Bent (Regie): Kitchen Stories (Salmer fra kjøkkenet), Norwegen/Schweden 2003.
- Sinclair, Upton: Der Dschungel (Originaltitel: The Jungle), erschienen 1905/06.
- Loriot (Künstlerpseudonym), Filme und Bücher siehe auch unter dem Klarnamen Vicco von Bülow.
Individuelle Unterstützung bei der Studienwahl findet ihr bei der Zentralen Studienberatung der Universität Tübingen. Infos zu allen Studiengängen an der Universität Tübingen gibt es im Verzeichnis der Studiengänge.
Bei Fragen, Anregungen oder Kritik schreibt uns an: