Uni-Tübingen

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02.07.2021

Spuren des adeligen Lebens am Albrand im Mittelalter

Archäologische Grabungen bringen Reste der verschwundenen Burg Stahleck ans Licht

Archäologische Freilegung der Mauerreste auf Burg Stahleck im Juni 2021: Für die Tübinger Studierenden eine willkommene Abwechslung während der pandemiebedingten Online-Lehre

Die Schwäbische Alb ist bekannt für ihre vielen mittelalterlichen Burgen. Im Hoch- und Spätmittelalter waren diese Burgen Orte adeligen Lebens, aber auch Verwaltungszentren großer Ländereien und wichtiger Bestandteil des adeligen Selbstverständnisses. Wie auf diesen Herrschaftssitzen gelebt und gewirtschaftet wurde, wie die Befestigungsanlagen Wohn- und Ökonomiebauten beschaffen waren – und welche Rolle sie als Ressource und Machtinstrument spielten – ist meist nur unzureichend erforscht. Die archäologischen Reste im Boden erlauben allerdings oft überraschende Einblicke und Antworten.

In einem gemeinsamen Forschungsprojekt der Universität Tübingen (Archäologie des Mittelalters und der Neuzeit sowie Sonderforschungsbereich 1070 RessourcenKulturen) und des Landesamtes für Denkmalpflege im Regierungspräsidium Stuttgart werden seit 2020 exemplarisch verschiedene Burganlagen und weitere Kulturlandschaftselemente im Echaztal um Pfullingen/Lichtenstein archäologisch untersucht. Die Fundstellen gehören zur Herrschaft der edelfreien Herren von Greifenstein, die ab dem späteren 12. Jahrhundert die Region prägten. Konflikte mit der Reichsstadt Reutlingen leiteten im frühen 14. Jahrhundert den Niedergang der Familie ein, deren Burgen der Überlieferung zufolge schließlich 1311 im Reichskrieg durch Reutlinger Truppen zerstört wurden.

Rege Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger

In dem interdisziplinären Projekt, das neben den Burgen auch die Wurzeln der regionalen Kulturlandschaft erforscht, ist Citizen Science ein zentraler Bestandteil. Lokale Vereine, Gemeinden und interessierte Bürgerinnen und Bürger partizipieren aktiv an den Forschungen. So wurde auch die gerade abgeschlossene Grabungskampagne auf der Burg Stahleck maßgeblich von Gemeinde und Geschichtsverein Lichtenstein unterstützt. Die Ausgrabungen an der Burganlage, auf der im 13. und 14. Jahrhundert aller Wahrscheinlichkeit nach ritterliche Dienstleute der Herren von Greifenstein lebten, haben zahlreiche überraschende Ergebnisse erbracht.

Obwohl heute außer einem tiefen Graben obertägig fast nichts mehr sichtbar ist, haben sich im Boden umfangreiche Reste erhalten. In der Hauptburg gelang es dem Grabungsteam, das steinerne Fundament eines mächtigen Gebäudes an der Spornspitze freizulegen, das als standesgemäßer repräsentativer Wohnbau genutzt worden sein dürfte. Im Inneren fanden sich neben Abfällen der Burgbewohner des 13. Jahrhunderts – darunter besonders Fragmente von Keramikgefäßen aus der Burgküche und von der herrschaftlichen Tafel – auch umfangreiche Reste der ehemaligen Dachdeckung aus Ziegeln. Besonders die zahlreichen Ofenkacheln verweisen auf die adelige Wohnkultur, da rauchfreie Kachelöfen in dieser Zeit noch weitgehend den sozialen Eliten vorbehalten waren. Die standesgemäße Fortbewegung zu Pferde beleuchten außerdem Metallteile von Pferdegeschirr. Die bisherige Forschungsmeinung einer unbedeutenden, möglicherweise nur aus Holz bestehenden Anlage, konnte damit korrigiert werden.

Entdeckung einer Vorburg

Neben dem Wohnbereich der Burgherren wurde auch die Vorburg archäologisch untersucht. Dort spielte sich im Mittelalter das wirtschaftliche Leben ab, und es sind Ställe und Scheunen, Werkstätten, Backöfen sowie Wohnhäuser der Bediensteten zu erwarten. Vor Beginn der Grabungen war die Stahlecker Vorburg der Forschung allerdings gänzlich unbekannt, und es galt, erste Anhaltspunkte für ihre Existenz, Nutzung und Bebauung zu gewinnen.

Die Ausgrabungen brachten unter anderem große Mengen von Brandschutt zu Tage. Der bei extremen Temperaturen verbrannte und teilweise verschlackte Lehm zeigt zahlreiche Abdrücke von Hölzern unterschiedlicher Art. Es dürfte sich daher um die Reste eines oder mehrerer abgebrannter Fachwerkgebäude handeln, die aller Wahrscheinlichkeit nach in der Vorburg standen. Das eingebettete Fundmaterial datiert in das 14. Jahrhundert und damit in die Spätphase der Herrschaft Greifenstein. Die nun anstehenden Analysen müssen zeigen, ob ein Zusammenhang mit der schriftlich überlieferten Zerstörung der Greifensteiner Burgen im Jahr 1311 bestehen könnte.

Fortsetzung des Projekts im Sonderforschungsbereich RessourcenKulturen

Die archäologischen Forschungen an der Burg Stahleck und verschiedenen weiteren Bestandteilen der Greifensteiner Herrschaft werden bis mindestens 2025 fortgesetzt. Dafür gelang es, das Projekt langfristig in den Sonderforschungsbereich 1070 RessourcenKulturen an der Universität Tübingen zu integrieren, der von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördert wird. In diesem Rahmen ist es möglich, am Beispiel der Greifensteiner Herrschaft echte Grundlagenforschung zu leisten und dem historischen Puzzle zukünftig weitere wichtige Teile hinzuzufügen.

Lukas Werther / Abteilung für Archäologie des Mittelalters

Kontakt:

PD Dr. Lukas Werther
Universität Tübingen
Abteilung für Archäologie des Mittelalters
+49 7071 29-78559
lukas.wertherspam prevention@uni-tuebingen.de

Michael Kienzle M.A.
Universität Tübingen
Abteilung für Archäologie des Mittelalters
+49 7071 5666448
michael.kienzlespam prevention@uni-tuebingen.de

Dr. Jonathan Scheschkewitz
Landesamt für Denkmalpflege im Regierungspräsidium Stuttgart
Ref. 84.2 Regionale Denkmalpflege, Schwerpunkte, Inventarisation
Stellvertretender Referatsleiter
Fachbereichsleitung Mittelalter- und Neuzeitarchäologie
Berliner Straße 12
73728 Esslingen am Neckar
+49 711 904 45142
Jonathan.Scheschkewitzspam prevention@rps.bwl.de

 

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