Uni-Tübingen

Hermann-Bausinger-Lecture 2022

Das Ludwig-Uhland-Institut (LUI) für Empirische Kulturwissenschaft verdankt ihm seinen Namen und ein zukunftsträchtiges Programm: Professor Hermann Bausinger war ein international renommierter Forscher und Modernisierer seines Faches – gleichzeitig war er seinem Land und Tübingen tief verbunden. Zum Gedenken an den am 24. November 2021 verstorbenen Kulturwissenschaftler richtet das LUI die Hermann-Bausinger-Lecture aus. 

Erster Festredner der Bausinger-Lectures war am 29. November 2022 der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann. Die Veranstaltung fand im Festsaal der Universität in der Neuen Aula statt.

"Es ist mir eine große Ehre, dieses neue Format eröffnen zu dürfen. Als Herr Prof. Johler angefragt hat, ob ich bereit wäre, bei der ersten Hermann-Bausinger-Lecture zu sprechen, habe ich nicht lange überlegt. Zum einen, weil diese Vorlesungsreihe an Hermann Bausinger erinnert. Diesen schwäbischen Gelehrten, der in den vergangenen 70 Jahren zu Tübingen gehörte wie Walter Jens oder Hans Küng. Auch wenn er seit den frühen 1950er Jahren in Reutlingen lebte. Der als Kulturwissenschaftler wie kein anderer unser Land und seine Leute verstehen und vor allem erklären konnte. Zum anderen, weil es einem doch schmeichelt, als Politiker und ehemaliger Gymnasiallehrer in einer solch fachwissenschaftlich ausgerichteten Vorlesungsreihe zu Wort kommen zu dürfen.

Meine Damen und Herren,

man kann die ketzerische Frage stellen, ob die Themen, die die Kulturwissenschaften bearbeiten, die Erkenntnisse, die sie liefern, einfach nur „Nice to have“ sind. Dem möchte ich aber gleich einen Satz von Hermann Bausinger gegenüberstellen: „Genau das ist der Sinn von Wissenschaft – nicht etwa Unsicherheiten aufzulösen in scheinbare Eindeutigkeiten, sondern Widersprüche und Schwierigkeiten auszuleuchten.“ Und ich ergänze: Und damit Menschen zum Denken zu bringen. Es stellt sich also die Frage: Warum brauchen wir Kulturwissenschaften? Warum sind die Forschungsergebnisse, die Analysen und Erkenntnisse der Kulturwissenschaften wichtig?

Ich denke, es greift zu kurz, Wissenschaft und Forschung nur auf ihre wirtschaftliche Verwertbarkeit hin zu betrachten. Um es mit den Worten von Karl Jaspers zu sagen: „An der Universität verwirklicht sich das ursprüngliche Wissenwollen, das zunächst keinen anderen Zweck hat, als zu erfahren, was zu erkennen möglich ist.“

Neue Erkenntnisse sind zunächst einmal ein Wert an sich. Ihre Verwertbarkeit, auch im wirtschaftlichen Sinne, ergibt sich häufig genug erst zu einem sehr viel späteren Zeitpunkt. In der Medizin, in den Naturwissenschaften, in der Technik geht das meist recht rasch. Bei den Geistes- und Kulturwissenschaften haben wir einen Mehrwert, der sich meist anders auszahlt. Aber auch hier sollte klar zu erkennen sein, warum sie sich mit bestimmten Themen und Phänomenen beschäftigen. Denn wer Wissenschaft treibt, vor allem an von der Allgemeinheit, vom Steuerzahler finanzierten Hochschulen und Forschungseinrichtungen, hat auch eine Rechenschaftspflicht. Nennen wir es: moralische Ertragspflicht. Oder, wie Hermann Bausinger, der betont hat, dass eine Professur nicht nur „Fahrkarte für schöpferische Selbstentfaltung“ sei, sondern auch eine „Dienstleistungsaufgabe“.

Das beginnt damit, dass Themen, Phänomene, Interessensgebiete auch von aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen vorgegeben werden. Oder anders gesagt: sich aufdrängen. Aber es gibt auch Forschungsfelder, deren Aktualität sich nicht auf den ersten Blick erschließt. Deren Ergebnisse und Erkenntnisse aber als Prinzipien oder Muster auf andere Phänomene und Entwicklungen übertragbar sind. Die zum Vergleich und zur Einordnung hilfreich sind. Kulturelle Grundlagenforschung sozusagen.

Das ist ein Teil der „Dienstleistungsaufgabe“ von Wissenschaft. Der andere besteht in der Lehre. Und darin, dass die Forschungsergebnisse, die gewonnenen Erkenntnisse auch öffentlich gemacht werden. Nicht nur innerhalb der Wissenschaft. Sondern der breiten Öffentlichkeit vermittelt und erklärt werden. Zum Beispiel durch Vorträge und Publikationen. Erkenntnisgewinn für alle, wenn man so will.

Und wo liegt der breite Nutzen, die Verwertbarkeit von Kulturwissenschaften? Welche Bedeutung haben Kulturwissenschaften in unserer technologiezentrierten Welt des 21. Jahrhunderts? Reicht es den Menschen, wenn sie die Welt erklären können, die sie umgibt, ohne sich selbst zu verstehen und das Umfeld, das sie selbst geschaffen haben? Die Kulturwissenschaften helfen uns, die Welt, komplexe soziale, politische und kulturelle Fragen aus unterschiedlichen Perspektiven zu betrachten.

Kulturwissenschaften verschaffen einer Gesellschaft

  • ein Wissen von sich.
  • ein differenziertes Wissen.
  • ein Wissen, das auf wissenschaftlichen Methoden, auf wissenschaftlichem Arbeiten beruht.

Dabei geht es um die zentrale Kategorie Sinn. Denn alles, was Kulturen hervorbringen, von Religion bis Recht, von Wirtschaftsformen bis Kunst, dient der Sinnerzeugung. Kultur ist das Sichtbarmachen der Werte, Normen und Güter einer Gesellschaft. Und das, was wir im Alltag tun, ist Ausdruck dessen, wer wir sind und wofür wir leben.

Zum Beispiel:

  • Warum geben wir uns die Hand, und warum machen wir das plötzlich nicht mehr?
  • Woher kommt die Brezel, und warum hat sie diese Form?
  • Warum gibt es Sonntage und Werktage?

Die Erscheinungsformen, Phänomene, Entwicklungen von Kultur muss man auch verstehen. Muss damit umzugehen wissen. Und da sind die Kulturwissenschaften ganz klar Orientierungswissenschaften. Es ist wichtig zu verstehen, wie Menschen zusammenleben. Was macht das Zusammenleben aus? Von was wird dieses Zusammenleben bestimmt? Welche Werte spielen eine Rolle? Wie machen sich diese bemerkbar? Welche Faktoren und Mechanismen bringen Menschen zusammen, verbinden sie? Was trägt zur Verständigung bei, hilft bei der Integration? Aber auch, was beeinträchtigt das Zusammenleben, was stört, was grenzt aus? Was gefährdet den Zusammenhalt? Hier helfen die Kulturwissenschaften mit ihren Forschungen, Analysen und Ergebnissen zu verstehen, was eine Gesellschaft braucht. Wie und welche ethnischen, sozialen, religiösen oder geschlechtsspezifischen Faktoren wirken.

Zum Beispiel:

  • Wenn wir über den Zusammenhalt unserer Gesellschaft sprechen.
  • Wenn Krisen unser Zusammenleben herausfordern.
  • Wenn große gesellschaftspolitische Aufgaben uns beschäftigen.

Gerade moderne, fortschrittliche Gesellschaften, die eine hohe Eigendynamik haben, sich stets verändern, brauchen diesen kulturwissenschaftlichen Blick, brauchen gerade auch die historischen Kulturwissenschaften. Um sich auch ständig der eigenen Geschichte zu vergewissern. Wo kommen wir her? Wo gehen wir hin? Was trägt uns?

Und dieses kulturelle Wissen braucht es auch im Umgang mit Menschen aus anderen Kulturen. Stichwort: Globalisierung und Migration. Um zu verstehen, wo die Unterschiede liegen. Warum wir bei bestimmten Fragen in bestimmten Situationen anders ticken als die anderen. Zum Beispiel in Baden-Württemberg mit seiner regionalen Vielfalt, wo sich Historie und Mentalitäten in der Kultur spiegeln.

In unseren Kulturlandschaften ist bis heute zu spüren und zu erleben, dass dieses Land bis vor etwas mehr als 200 Jahren aus vielen kleinen Herrschaften bestand. Dass der Südwesten ein territorialer Flickenteppich war. Etwas, was vielleicht erst einmal nicht besonders positiv klingt. Was uns aber in Wahrheit bis heute zu Gute kommt. Denken Sie an das Thema Freiheit. Eine besondere Staatsgläubigkeit konnte sich in diesen kleinen Territorien kaum entfalten. Wie etwa in Bayern: 700 Jahre Wittelsbacher, das merkt man ja noch heute. Stattdessen bildete sich bei uns schon früh ein bürgerschaftlicher Geist heraus.

Eines der Fundamente für das immense ehrenamtliche Engagement der Bürgerinnen und Bürger hierzulande. Denken Sie an unsere dezentrale Infrastruktur. An unsere vielen regionalen Wirtschaftsprofile. Oder an die große Vielfalt an Bräuchen und Traditionen, an Museen, Theatern und sonstigen kulturellen Einrichtungen, wie man sie in dieser Fülle kaum anderswo auf der Welt antreffen kann.

Wir haben in unserem Land ländliche Räume, aber keine Provinz. Und denken Sie an all die regionalen Identitäten die daraus erwachsen sind. Ein Bewusstsein für solche Zusammenhänge ist wichtig. Hilft zu verstehen. Hilft dabei, Probleme zu erkennen und dann auch Lösungen für diese zu finden.

Und Kulturwissenschaften helfen bei der Bewertung von Modernisierungsprozessen. Während bei den meisten Modernisierungsprozessen gerade die Naturwissenschaften und die Technik eine zentrale Rolle spielen. Treibende Kräfte sind. Sind die Entwicklung, der Fortschritt, die Dynamik der Technik- und Naturwissenschaften aber nicht mit den Methoden dieser Disziplinen selbst zu erforschen. Auch dafür braucht es die Geistes- und Kulturwissenschaften.

Wir dürfen uns nicht allein auf das ökonomische Kapital fixieren, sondern müssen uns auch auf das kulturelle Kapital unserer Gesellschaft besinnen. Wir dürfen in unserer Gesellschaft nicht nur nach materiellem Wohlstand streben, wir müssen auch für den geistigen Wohlstand unserer Gesellschaft sorgen. Vor allem, wenn wir uns vor Augen führen, welche kruden Behauptungen, Theorien und Verschwörungsmythen in manchen Kreisen als Wahrheit verkauft werden.

Von der Identitären Bewegung bis zu Donald Trump, von QAnon bis zu den sogenannten Querdenkern. Hier braucht es seriöse und fundierte Wissenschaften, die transparent mit ihren Ergebnissen umgehen, die überprüfbar sind. In Artikel 20 unserer Landesverfassung ist die Freiheit der Hochschule in Forschung und Lehre festgeschrieben. Und es kommt aus meiner Sicht entscheidend darauf an, dass die Politik und die Gesellschaft der Wissenschaft Freiräume gibt, 

  • damit sie alte Gewissheiten in Frage stellen und neues Denken wagen kann.
  • damit sie vorurteilsfrei Phänomene beobachten, beschreiben und erklären kann.
  • damit sie wissenschaftliches Wissen über die kulturelle Welt, über das Zusammenleben der Menschen, über die Gesellschaft produzieren kann.

Meine Damen und Herren,

man könnte den Haspelturm des Tübinger Schlosses als klassischen Elfenbeinturm der Wissenschaften missverstehen. Wie er da so etwas geduckt thront über dem Neckartal. Aber hinter seinen Mauern fand und findet nicht nur reges wissenschaftliches Treiben statt. Das Ludwig-Uhland-Institut, das dort seine legendäre Heimat hat, ist eine offene und lebendige Institution. Eine Institution, die ihre „Dienstleistungsaufgabe“ ernst nimmt. Und das schon lange.

Mit einem starken Blick nach draußen, ins Land, in die Gesellschaft. Man begibt sich zu seinen Studienobjekten. Dieses Auf-die-Menschen-zugehen ist eine Grundbedingung, wenn man als Sozialwissenschaftler empirisch unterwegs ist. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die Studierenden der EKW sind auch immer hinausgegangen, gehen hinaus, um darüber zu sprechen, zu berichten, was sie tun und was sie beobachtet haben und was sie daraus ableiten und schließen. Ein Institut also, das in die Gesellschaft hinausgeht und in sie hineinwirkt! Und das war und ist vor allem das Verdienst von Hermann Bausinger, … des Spiritus Rector

•    der Volkskunde als Sozialwissenschaft,
•    der Tübinger Empirischen Kulturwissenschaft,
•    des Ludwig-Uhland-Instituts.

Im vergangenen Jahr jährte sich die Umbenennung des Instituts zum 50. Mal. Hermann Bausinger konnte noch mitfeiern und als Zeitzeuge berichten. Die Umbenennung war ein zentraler Schritt bei der Modernisierung der Volkskunde nach dem Zweiten Weltkrieg. Dem viele Papiere, Diskussionen und Tagungen vorausgegangen waren. Und Hermann Bausinger hat maßgeblich daran mitgewirkt. Schon durch seine Habilitationsschrift: „Volkskultur in der technischen Welt“.

Weg von einer Volkskunde, die sich vorrangig mit Relikten beschäftigt, hin zur modernen Kulturwissenschaft. „Von der Altertumsforschung zur Kulturanalyse“, wie Bausinger es im Untertitel seiner Einführung in die Volkskunde 1971 formuliert hat. Bausinger hat das ideologisch belastete und etwas angestaubte Fach Volkskunde nach der nationalsozialistischen Diktatur neu betrachtet. Regelrecht umgekrempelt. Neu ausgerichtet, modernisiert, weg vom Volkstümelnden, vom Völkischen über die Aufarbeitung der Fachgeschichte hin zu einer Wissenschaft, die sich mit der vielfältigen Kultur der Menschen, des Alltäglichen beschäftigt. Mit kulturellen Phänomenen. Mit dem Zusammenleben der Menschen in aktueller und historischer Perspektive. Schlicht: mit der Vielfalt unseres Lebens.

Hermann Bausinger war ein Forscher ohne Angst vor dem Feld. Als Germanist, Historiker und Volkskundler interdisziplinär unterwegs. Der sich darangemacht hat, das Alltagsleben der sogenannten kleinen Leute empirisch zu erforschen und zu beschreiben, zu analysieren. Triviales und Gewöhnliches, Dinge, die den meisten Menschen gar nicht groß auffallen, die uns ganz normal vorkommen. Die wir aber dann doch alle auch hoch spannend finden, wenn wir darüber nachdenken.

Weil es um uns geht, um unsere Lebenswelt, oft eben auch um das, was wir jeden Tag tun und lassen. Wie wir sprechen, wie wir arbeiten, wie wir feiern, was wir in unserer Freizeit treiben, was wir lesen. Wie wir uns kleiden, was wir essen und trinken. Die Bandbreite an Themen, denen er sich angenommen hat, über die er nachgedacht, die er bearbeitet hat, über die er geschrieben und Vorträge gehalten hat, ist wirklich beeindruckend:

  • Mode, Sport, Tourismus,
  • Folklore, Fasnet, Dialekt,
  • Schlager, Massenmedien, Märchen.

Um nur ein paar Schlagwörter zu nennen. Er war ein „Aufklärer des Alltags“, wie ein Gesprächsband mit Kolleginnen und Kollegen zu Bausingers 80. Geburtstag überschrieben war.  Und das blieb er bis zuletzt. Stets aktuell. Bis hin zum Thema Corona-Impfungen. Und auch zur neuen THE LÄND-Kampagne hat er sich kritisch geäußert. Vor allem die Verwendung des Umlauts „ä“ im internationalen Kontext fand er irritierend. Würde Bausinger noch leben, hätte er sich wahrscheinlich auch schon dem Phänomen Energiespartipps von Ministerpräsidenten, dem Waschlappen und dem Umgang der Bevölkerung damit gewidmet.

Hermann Bausinger hat Generationen von Studierenden geprägt. Doktoranden und Habilitanden. Mit seinen Lehrveranstaltungen, seinen Formaten wie der „aktivierenden Lehre“ und des „forschenden Lernens“. Mit zahlreichen Exkursionen. Es ging ihm immer auch darum, Lehrinhalte anschaulich zu machen. Und – wie mir berichtet wurde – hat Bausinger es immer verstanden, die Studierenden zu motivieren. Er hat sie zusammengebracht. Hat mit ihnen auch mal gefeiert. Und so ist sein großer Schülerkreis entstanden, der in vielen Institutionen und an vielen Orten tätig war und ist. Der den Tübinger Geist der EKW weit über Tübingen und Baden-Württemberg hinausgetragen hat. Und viele von ihnen sind ja auch heute Abend hier.

Ich habe Hermann Bausinger als neugierigen, aufmerksamen und offenen Menschen kennengelernt – sicher eine Grundvoraussetzung für einen EKW-ler. Der humor- und respektvoll über seine Forschungsobjekte, über seine Arbeit und seine Beobachtungen gesprochen hat. Ein Akademiker, der sich immer für jeden verständlich und anschaulich ausgedrückt hat. Der stets gut erklären konnte, warum etwas wie ist. Wie was zusammenhängt.

Der es bestens verstanden hat, seine Vorträge und Wortbeiträge unterhaltsam und mit viel Charme und Witz zu gestalten. Dem man gerne zugehört hat. Der sein Fach, seine Wissenschaft, seine Erkenntnisse im besten Sinne popularisiert hat. Der wusste und tief durchdrungen hatte, was es heißt, zu erzählen. Für seine Forschungen und sein Wirken ist er vielfach ausgezeichnet worden. Ich selbst konnte ihm 2016 die Große Staufermedaille in Gold überreichen. Und damit seine Verdienste um unser Land würdigen. Er war für uns alle das Vorbild eines schwäbischen Gelehrten mit nicht versiegender Schaffenskraft. Gerade auch als Emeritus.

Und hier ist vor allem seine bemerkenswerte „Schwäbische Literaturgeschichte“ zu erwähnen, die er vor einigen Jahren herausgebracht hat. Hermann Bausinger hat sich mit seiner heimatlichen Region, mit Land und Leuten im deutschen Südwesten befasst. Als Landeskundler und vor allem Landeskundiger stand er nicht als Beobachter außerhalb, sondern war auch stets Landeskind. Teilnehmender Beobachter also. Dessen war er sich bewusst: „Aber ich kann nicht von Baden-Württemberg reden oder schreiben, als handle es sich um einen fremden Gegenstand. Ich gehöre dazu.“ Als solcher war er ein fundierter Kritiker, aber auch ein emphatischer Liebhaber unseres Landes. Das zeigen zum Beispiel die Publikation „Die bessere Hälfte. Von Badenern und Württembergern“, die zum 50. Landesjubiläum erschienen ist. Oder das ein paar Jahre später veröffentlichte Buch „Der herbe Charme des Landes. Gedanken über Baden-Württemberg“.

Und so stellen wir gerade in diesem Jahr, in dem Baden-Württemberg seinen 70. Geburtstag feiert, fest, dass die Stimme von Hermann Bausinger fehlt. Aber er hat ein Oeuvre hinterlassen, von dem noch Generationen profitieren werden.

Meine Damen und Herren,

der Heidelberger Philosoph Hans-Georg Gadamer hat einmal gesagt: „Die Geisteswissenschaften haben es nicht leicht, für die Art ihrer Arbeit bei der größeren Öffentlichkeit das rechte Verständnis zu finden. Was in ihnen Wahrheit ist, was bei ihnen herauskommt, ist schwer sichtbar zu machen.“ Aber ein wichtiges Pfund haben die Geistes- und Kulturwissenschaftler. Sie erwerben schon im Studium ihre klassischen Kompetenzen, also Kommunikation, Analyse und Prognose. Und es kommt vor allem auf Sprache an. Sprache als Werkzeug und Gegenstand der Arbeit zugleich. Sprache als Mittel zur Vermittlung. Hermann Bausinger hat bewiesen, wie man seine Forschungen und Erkenntnisse einer breiten Öffentlichkeit vermitteln kann. In diesem Sinne hoffe ich, dass die Hermann-Bausinger-Lecture ein Format wird,

  • in dem neue kulturwissenschaftliche Beobachtungen und Auslegungen Raum erhalten,
  • von dem immer wieder neue fachliche Diskurse ausgehen.
  • und das stets breiten Widerhall findet.

Ich wünsche dem Ludwig-Uhland-Institut alles Gute für die Zukunft und bin mir sicher, dass Ihnen die Forschungsthemen niemals ausgehen werden. Vielen Dank!"

Hinweis:

Die Veröffentlichung der Unireden erfolgt mit freundlicher Genehmigung der Autoren/innen. Die Rechte an den Texten liegen bei den Autor/innen. Die Veröffentlichung der Texte bzw. einzelner Teile daraus ist nur mit Zustimmung der Universität Tübingen (Hochschulkommunikation: Herausgeber) bzw. der Autoren/innen gestattet.