Uni-Tübingen

Newsletter Uni Tübingen aktuell Nr. 1/2011: Forschung

Interdisziplinärer Forschungsverbund zur Vormoderne in Europa

Das „Zentrum Vormodernes Europa“ (ZVE) an der Universität Tübingen hat seine Arbeit aufgenommen

Seit gut einem Jahr gibt es an der Universität Tübingen das „Zentrum Vormodernes Europa“ (ZVE), einen Forschungsverbund, der sich in breiter interdisziplinärer Kooperation der Erforschung der Vormoderne widmet. Darunter versteht man jene Großepoche, die sich von der Antike bis in die Frühe Neuzeit um das Jahr 1800 erstreckt. Beteiligt sind alle historisch auf Europa ausgerichteten Fächer: die Philologien, die Geschichtswissenschaften, die Archäologien, die beiden Theologien, Religionswissenschaft, Rechtsgeschichte, Philosophie sowie die Kunst- und Musikwissenschaften.


Europa steht heute vor gewaltigen Herausforderungen: Im Prozess der europäischen Einigung suchen die beteiligten Länder das alte, nationalstaatliche Denken zu überwinden. Im Zuge der Globalisierung und der Auseinandersetzung mit anderen Kulturen und Mächten muss sich Europa die Frage stellen, welche Rolle es in der Welt spielen will und worin eigentlich eine eigenständige europäische Identität bestehen soll; eine Identität, die über ein politisch-ökonomisches Zweckbündnis hinausgeht und eine spezifische Kultur- und Wertegemeinschaft zu begründen vermag. Für diese Herausforderungen ist der Blick auf Europas Vergangenheit unerlässlich; insbesondere der Blick auf die Vormoderne als eine Zeit, in der Europa noch nicht nationalstaatlich zersplittert, vielmehr bereits von einer relativ einheitlichen Kultur geprägt war. Zu dieser Zeit entwickelt sich im Zusammenspiel von Antike und Christentum, unter großem Einfluss aber auch der anderen monotheistischen Weltreligionen Judentum und Islam, eine gesamteuropäische Kultur, die entscheidende Grundlagen für das heutige und wohl auch zukünftige Selbstbild Europas bereitet hat.


Forschungsschwerpunkte des ZVE sind dementsprechend die Hinterfragung alter sowie die Etablierung neuer Periodisierungen und Epochenbegriffe, die Bestimmung des Verhältnisses von Moderne und Vormoderne wie auch die theoretische Durchdringung der jeweiligen Materialität und Medialität historischer Texte, Bilder, Musik usw. Zur Erforschung dieser Schwerpunkte sollen drei für das Verständnis der Vormoderne besonders wichtige und aussagekräftige Forschungsbereiche in den Blick genommen werden: die historische Bedeutung der Religionen – heute besonders relevant angesichts der oft konstatierten „Wiederkehr des Religiösen“ in der Gegenwart –, die Herausbildung und Vermittlung von Wissen sowie die Kulturgeschichte der Regionen und damit verbunden die Untersuchung von Transferprozessen zwischen verschiedenen Regionen Europas.


Der Gründung des ZVE ging bereits seit dem Sommersemester 2008 ein interdisziplinärer Austausch der beteiligten Tübinger Fächer im Rahmen des „Kolloquium Vormoderne“ voraus. Neben der Bündelung gemeinsamer Forschungsprojekte soll auch das Lehrangebot der am ZVE beteiligten Fächer koordiniert werden. Der Nachwuchsförderung widmet sich ein Ende 2010 bewilligtes DFG-Graduiertenkolleg „Religiöses Wissen im vormodernen Europa“, das von Professor Dr. Andreas Holzem (Katholisch-Theologische Fakultät) geleitet wird. Geplant ist außerdem eine enge Zusammenarbeit des Zentrums Vormodernes Europa mit Museen, Bibliotheken, Archiven und anderen historisch ausgerichteten Bildungsinstitutionen in der Region.


Ulrich Barton