Uni-Tübingen

Newsletter Uni Tübingen aktuell Nr. 1/2012: Termine und Veranstaltungen

Gespräch über „das größte Scheusal der Literatur“

„Literatur im Foyer“ mit Umberto Eco im Festsaal der Universität Tübingen

„Bitte winken oder gähnen sie nicht in die Kamera“, bat Felicitas von Lovenberg die etwa 800 Besucher Mitte Oktober im Festsaal der Universität. Dort unterhielt sich die Literaturchefin der FAZ mit dem Schriftsteller Umberto Eco. Für die Sendung „Literatur im Foyer“ des SWR wurde das Gespräch aufgezeichnet, der Festsaal verwandelte sich einen Abend lang in ein Fernsehstudio, inklusive Lichtpfeiler und Kameras. Über Kopfhörer konnte das Publikum die Simultanübersetzung Ecos aus dem Italienischen hören. Anlass war der neue Roman des Schriftstellers, Ex-Professors und 37-fachen Doktors: „Der Friedhof in Prag“. Darin beschäftigt er sich mit den gefälschten „Protokollen der Weisen von Zion“, mit denen eine geplante Weltverschwörung der Juden bewiesen werden soll. Die Protokolle verstärkten den Judenhass des frühen 20. Jahrhunderts. Schon 1921 wurden sie als Plagiat entlarvt. Trotzdem: „Die Protokolle sind ein Text, auf den die größten Verbrechen der Menschheit zurückzuführen ist“, stellt Eco klar.

Die Hauptfigur seines Romans Simone Simonini ist der Fälscher der Protokolle, er ist die einzige fiktive Figur im „Friedhof von Prag“. Eco wollte darstellen, wie die Fälschung entstanden ist. „Man soll nie eine pädagogische Absicht haben, wenn man einen Roman schreibt“, sagt Umberto Eco. „Diese Karte habe ich trotzdem ausgespielt. Eine pädagogische Absicht war schon da.“ Simonini habe er als „das größte Scheusal der ganzen Literatur“ schaffen wollen. Dies ist ihm durchaus gelungen. So hasst der Fälscher nicht nur Juden, auch Frauen, Deutsche, Franzosen oder Priester kommen nicht gut weg. „Das Böse ist interessanter als das Gute“, erklärt Eco sein Interesse an diesem. „Das Falsche ist mächtiger als die Wahrheit. Viele Dinge, die falsch waren, haben die Dinge beeinflusst. Die Wahrheit ist oft enttäuschend.“ Unterbrochen wurde das Gespräch zweimal vom Schauspieler Patrick Blank, der aus Teilen des Buches las und dabei den Charakter Simoninis unterstrich. „Ich habe das sehr kaltblütig geschrieben“, stellt Umberto Eco klar. „Durch die Fälschung ergeben sich neue Formen des Aberglaubens und des Hasses. Hass einigt, Liebe ist exklusiv. Der Hass ist viel mächtiger als die Liebe – tut mir leid!“.

Simona Steeger-Przytulla