Uni-Tübingen

Newsletter Uni Tübingen aktuell Nr. 2/2014: Studium und Lehre

Massive Open Online Course (MOOC) der Sectio Chirurgica

Bernhard Hirt, Gründer der Sectio Chirurgica, erhält den Ars legendi-Fakultätenpreis Medizin 2014

PD Dr. Bernhard Hirt, Leiter der Klinischen Anatomie und Makroskopie an der Universität Tübingen, wird für seine herausragenden Leistungen in der medizinischen Lehre Mitte Juni mit dem diesjährigen Ars legendi-Fakultätenpreis Medizin des Stifterverbands für die Deutsche Wissenschaft und des Medizinischen Fakultätentags MFT ausgezeichnet. In der Pressemitteilung des Stifterverbandes dazu heißt es: „Ihm [Hirt] gelingt dabei nicht nur auf beeindruckende und intelligente Weise die Verknüpfung klinischer und vorklinischer Inhalte in der gesamten Breite der Medizin. Besonders herausragend ist die von Bernhard Hirt konzipierte und durchgeführte „Sectio chirurgica“ – ein videogestütztes, interdisziplinäres und interprofessionelles Lehrformat im Rahmen des makroskopischen Präparierkurses. Chirurgen aller Disziplinen demonstrieren hier in einzelnen Lehrveranstaltungen charakteristische operative Eingriffe an anatomischen Präparaten. Dieses innovative Format hat sich inzwischen auch deutschlandweit und darüber hinaus in verschiedenen Curricula etabliert.“

Das Konzept der Sectio Chirurgica sieht vor, dass die Tübinger Studierenden morgens den Präparationskurs in der klinischen Anatomie besuchen - ein wichtiger Schritt für die angehenden Mediziner, denn, so betont Bernhard Hirt, „hier haben sie Kontakt mit ihrem ersten echten Patienten - dem Körperspender - und wenden erstmals invasive Techniken an. Und sie werden erstmals im Studium direkt mit Tod und Materie konfrontiert. Abends bei den Live-OP’s der Sectio Chirurgica wird dann die Verbindung von vorklinischem Wissen mit klinischer Praxis hergestellt“, erklärt Bernhard Hirt das Lehrkonzept. Grundlage für jede Veranstaltung ist immer der Fallbericht am Anfang, bei dem immer auch Fachärzte, Chirurgen oder Radiologen hinzugezogen werden. Alles wird ausführlich erläutert an Bildmaterial, beispielsweise Röntgen-, MRT- oder CT-Aufnahmen oder anatomischen Querschnitten. Hirt tritt bei den Operationen als Moderator auf, immer wieder werden Fragen gestellt und diskutiert.

„Bei den Live-Operationen der Sectio Chirurgica ist häufig ein Team von 20-30 Personen im Einsatz, vom Hausmeister über die OP-Pfleger, das OP-Team mit Chirurg und Anatom sowie Medizinstudierende an den Kameras. Gleichzeitig gibt es im Hintergrund eine Regie – wie im echten Fernsehstudio –, die eine der insgesamt acht Kameras auswählt und die Moderatoren im Chat-Studio über gerade laufende Diskussionen im Chat informiert. In den fünf Jahren seit 2008 haben wir in der Sectio Chirurgica 64 Veranstaltungen übertragen. Ursprünglich nur für Studierende der Universität Tübingen gedacht, haben wir aktuell 16.000 registrierte Teilnehmer – Studierende genauso wie Ärztinnen und Ärzte sowie Medizinisches Fachpersonal – aus dem gesamten deutschsprachigen Raum. Außerdem werden die Veranstaltungen in zehn Hörsäle anderer Unis übertragen“, berichtet Hirt stolz. „Mitunter wird auch die interuniversitäre Kommunikation gefördert, etwa wenn ein Studierender aus Bremen eine Frage stellt, eine Kommilitonin aus Rostock antwortet darauf, ein weiterer Studierender aus Wien postet im Chat einen Link zum Thema“, schmunzelt Hirt.

In diesem Sommersemester bietet Bernhard Hirt mit der Sectio Chirurgica anstelle der Live-Operationen erstmals einen Massive Open Online Course (MOOC) an, zu seinem Spezialgebiet „Klinische Anatomie Kopf / Hals“ an. Im vergangenen Jahr hatte sich Hirt für ein „MOOC Production Fellowship“ des Stifterverbandes und des StartUps iversity beworben. Mehr als 250 Konzepte aus 20 Ländern wurden eingereicht, Hirt gewann eines von zehn Fellowships, die jeweils mit 25.000 Euro dotiert sind. Tübingen damit eine der ersten Hochschulen deutschlandweit, die dieses Format, das aktuell vor allem in Nordamerika im Kommen ist, anbietet. Start ist am 15. Mai.

Für den MOOC kann sich jeder Interessierte einschreiben – im Gegensatz zu den Live-Operationen, die nur für registrierte Medizinstudierende, Ärzte sowie medizinisches Fachpersonal zugänglich sind. Deswegen wird es in diesem Semester keine Live-Operationen geben. Stattdessen wurden 40 Filmkapitel à acht Minuten vorproduziert, jeweils aufgehängt an klinischen Fallbeispielen und unter Verzicht besonders sensible personenbezogenes Bildmaterial und Daten. Denn die Grundidee der MOOCs beinhaltet eine Demokratisierung der Ausbildung, ‚Lehre für jedermann‘ sozusagen, daher auch die ersten beiden Buchstaben MO für „Massive Open“. Gerade die hohen Studienkosten in den USA machen aus Hirts Sicht die MOOCs dort momentan so populär. Denn zur Idee gehört auch, dass sowohl das Einstellen der MOOCs wie auch die Teilnahme daran kostenlos sind. Die MOOC-Plattformen finanzieren sich aus Fördergeldern oder Werbeeinnahmen. Für Hirt steht aber die qualitativ hochwertige Universitätslehre auch bei den MOOCs im Vordergrund, die meisten „Fachfremden“ würden erfahrungsgemäß sowieso noch wenigen Sitzungen wieder aussteigen. Für den MOOC der Sectio Chirurciga wird wochenweise ein Teil der Filme freigeschaltet, so dass sich die Teilnehmer auf die Fallbeispiele vorbereiten können. In den wöchentlichen Veranstaltungen bespricht Hirt wie gewohnt mit Fachkollegen, Anatomen, Chirurgen, Radiologen den jeweiligen Fall, unterstützt von den vorbereiteten Videosequenzen sowie umfangreichem Bildmaterial, das der Thieme-Verlag im Rahmen einer Kooperation zur Verfügung gestellt hat. Im Hintergrund läuft ein Chat, beim dem die Studierenden Detailfragen stellen und diskutieren können. Die Teilnehmer haben beim MOOC außerdem die Möglichkeit, Antworten anderer Studierender zu bewerten – besonders gute Antworten landen so weiter oben in der Liste. Auch Quizfragen werden im MOOC eingebaut.

Bernhard Hirt betont, dass aus seiner Sicht das Angebot der Sectio Chirurgica wie auch der MOOC nur eine Ergänzung – ein „add-on“ – zum Präsenzunterricht sein, diesen aber nicht ersetzen kann. „Durch Veranschaulichung wollen wir die Studierenden zum Pauken motivieren. Sie sollen sehen wofür das Pauken gut ist und warum bestimmte Kenntnisse im chirurgisch-operativen Kontext die Grundvoraussetzung bilden.“

Maximilian von Platen

Links:

https://iversity.org/courses/sectio-chirurgica-anatomie-interaktiv

http://www.sectio-chirurgica.de/de/start/

https://www.facebook.com/sectiochirurgica

https://moocfellowship.org/submissions/sectio-chirurgica-anatomie-interaktiv

http://www.stifterverband.info/bildungsinitiative/quartaere_bildung/mooc_fellowships/