Uni-Tübingen

Newsletter Uni Tübingen aktuell Nr. 1/2015: Leute

Neu berufen: Professor Dr. Korbinian Möller

Professur für Angewandte Wissenspsychologie (Mathematisch-Naturwissenschaftliche Fakultät)

„Eine Rechenschwäche kann sich im Alltag unserer Gesellschaft genauso dramatisch auswirken wie eine Lese-Rechtschreibschwäche“, sagt Professor Dr. Korbinian Möller. Er gehört der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät der Universität Tübingen an und leitet am Leibniz-Institut für Wissensmedien (IWM) die Nachwuchsgruppe Neurokognition. Sein Forschungsgebiet sind die Mechanismen und neuronalen Prozesse, die uns zur Verarbeitung von Zahlen und zum Rechnen befähigen. Ihn interessiert besonders, wie sich das Verständnis für Zahlen entwickelt und was anders läuft, wenn eine Dyskalkulie, wie die Rechenschwäche auch bezeichnet wird, entsteht. Immerhin vier bis neun Prozent der Kinder sollen davon betroffen sein.

„Schon im Kindergartenalter fangen Kinder an, Zahlen von links nach rechts aufsteigend anzuordnen – entlang eines mentalen Zahlenstrahls“, sagt Möller. Er hat in Tests mit Vorschulkindern festgestellt, dass sich die Zählfertigkeiten sehr gut in einer Verknüpfung mit Bewegungsspielen trainieren lassen, zum Beispiel einer Tanzmatte, auf der die Kinder durch Hüpfen nach links oder rechts entscheiden sollten, ob eine dargebotene Zahl kleiner (links) oder größer (rechts) als eine andere war – entsprechend der Assoziation von kleineren Zahlen mit links und größeren Zahlen mit rechts auf dem imaginären Zahlenstrahl. „Bei einem ähnlichen Spiel am Computer, bei dem man die größere Zahl nur antippen sollte, waren die Lerneffekte lange nicht so gut.“

Im Gehirn kenne man Bereiche, die an der Lösung bestimmter Rechenaufgaben beteiligt sind: Zum Beispiel wird im intraparietalen Sulcus Zahlengröße verarbeitet, aber auch Rauminformationen. „Doch es ist beim Zählen und Rechnen praktisch nie nur ein abgrenzbares Areal im Gehirn allein aktiviert, man muss ein ganzes Netzwerk an Bereichen studieren“, sagt Möller. Er nutzt in seinen Untersuchungen nichtinvasive bildgebende Verfahren wie die funktionelle Magnetresonanztomografie. Auf jeden Fall habe die Zahlenverarbeitung bei Erwachsenen auch einen sprachlichen Aspekt. Wissenschaftler nehmen an, dass numerisches Faktenwissen wie das kleine Einmaleins verbal gespeichert wird. Andererseits kann etwa bei Schlaganfallpatienten die Rechenfähigkeit beeinträchtigt sein, ohne dass die Sprache abhandenkommt. „Bisher werden solche Ausfälle und die Rechenschwäche bei Kindern wissenschaftlich getrennt untersucht. Ich glaube, dass es interessant sein kann, die Erkenntnisse beider Bereiche zusammenzuführen.“

Korbinian Möller hat Psychologie an der Universität Eichstätt, der RWTH Aachen und der University of Dundee (Schottland) studiert. Er ist bereits seit 2008 an der Universität Tübingen und hat hier im Arbeitsbereich Diagnostik und Kognitive Neuropsychologie des Fachbereichs Psychologie promoviert. Seit 2013 hat er eine befristete Professur inne. Seine Nachwuchsgruppe umfasst zurzeit acht Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler aus der (Schul)Psychologie, Medizin, Informatik und Linguistik.

Janna Eberhardt