Uni-Tübingen

Newsletter Uni Tübingen aktuell Nr. 4/2021: Leute

Mozart und die Kunst der Verbindung

Zum Tod von Professor Dr. Manfred Hermann Schmid ein Nachruf von Stefan Morent

Am 5. Oktober verstarb in Augsburg im Alter von 74 Jahren der Musikwissenschaftler und frühere Ordinarius und Direktor des Musikwissenschaftlichen Instituts der Universität Tübingen Professor Dr. Manfred Hermann Schmid.

An sein Wirken außerhalb Tübingens in zahlreichen Fachgremien, -gesellschaften und an Universitäten und Akademien werden gewiss Vertreter seines weiten Schülerkreises erinnern und es würdigen.

Wer Manfred Hermann Schmid in seinen Tübinger Jahren als akademischen Lehrer und Kollegen erlebt hat, wird sich neben seinen zentralen Forschungsthemen als international renommierter Experte zu Leben und Werk Wolfgang Amadeus Mozarts und Richard Wagners vor allem an seine beständige Auseinandersetzung und Beschäftigung mit "Sprache und Musik", "Schrift und Musik" und musikethnologischen Fragestellungen erinnern. Geprägt durch seinen Lehrer Thrasybulos Georgiades in München, war für ihn ein möglichst tiefgreifendes und lückenloses Verständnis der europäischen Musikgeschichte von der Antike bis zur Gegenwart unabdingbare Voraussetzung, um kompetent über Musik nachdenken, sprechen und schreiben zu können. Dies schlug sich im Studienplan mit Pflichtlehrveranstaltungen etwa zur Gregorianik, zur mittelalterlichen Musikgeschichte, zur älteren Musiktheorie und zur Notationskunde nieder, an denen er auch im Zuge der Wandlung der Studiengänge eisern festhielt und die bis heute in Tübingen erhalten sind, was als sein Erbe verstanden werden darf.

Die Notationskunde unterrichtete er prinzipiell selbst, da, obwohl formal ein Propädeutikum, er im Entstehen und in der Entwicklung europäischer musikalischer Schrift einen zentralen Schlüssel für den Zugang zur Musik- und Kompositionsgeschichte sah. Den Studierenden legte er in Anlehnung an den spätantiken Musikphilosophen Boethius ans Herz, dass nur der sich mit gutem Recht Musikwissenschaftler nennen dürfe, der Kompositionen in ihrer originalen Schrift und ohne die Krücke einer Edition selbstständig und kompetent lesen und beurteilen könne. Sein pointiertes Motto "Singen und spielen Sie lieber Ihre eigenen Übertragungsfehler, als die anderer!" wird noch vielen ihr wissenschaftliches und musikalisches Leben prägend im Ohr sein. Die Summe eines Forscherlebens zu diesem Thema legte er in seinem zum Standardwerk gewordenen Handbuch zur Notationskunde nieder. Ebenso wichtig waren ihm stets der musikethnologische Blick über den Tellerrand europäischer, komponierter Kunstmusik hinaus (etwa auf die schriftlosen, mündlichen Musikkulturen Afrikas und Asiens) und der Bezug zur musikalischen Praxis, der er selbst als studierter Geiger und begeisterter Quartettspieler sowie als Leiter der Sammlung Musik im Münchner Stadtmuseum vor seiner Berufung nach Tübingen als Nachfolger Georg von Dadelsens nahe stand. Seine Kompromisslosigkeit und formale Strenge in allen Belangen erzogen zu Klarheit im Denken und Formulieren, sein ausgeprägtes Lehrer-Schülerdenken und sein Amtsverständnis als Ordinarius machten den Umgang nicht immer einfach. Als Herausgeber führte Schmid die "Tübinger Beiträge zur Musikwissenschaft" fort und begründete neben den "Mozart-Studien" die Gesellschaft für Musikgeschichte in Baden-Württemberg, die in ihren Denkmäler-Ausgaben auch Musik oberschwäbischer Klosterkomponisten einschließt, deren Originale bis heute in dem von seinem Vater und Vorgänger im Amt Ernst Fritz Schmid angelegten Schwäbischen Landesmusikarchiv am Musikwissenschaftlichen Institut Tübingen aufbewahrt werden.

Seit seinem Ruhestand 2012 war er immer wieder mit Vorträgen zu Gast am Tübinger Institut. Den letzten hielt er Ende Juli zu Mozarts Idomeneo – als Frucht eines seiner letzten Bücher. Obwohl von der Krankheit gezeichnet und pandemiebedingt nur per Video, konnten dabei alle erleben, was Manfred Hermann Schmid ausgemacht hat: Luzide musikalische Analyse, pointierte Sprache, stupende Kenntnis der italienischen Sprache und der souveräne kulturgeschichtliche Überblick sowie die Kunst, alles miteinander zielgerichtet zu verbinden. Gemäß seinem letzten Willen wird Manfred Hermann Schmid in Salzburg beigesetzt, womit sich der Kreis zu seiner Dissertation "Mozart und die Salzburger Tradition" schließt.

Das Musikwissenschaftliche Institut der Universität Tübingen hat in den letzten Jahren nach Walther Dürr, Arnold Feil und Werner Aderhold mit Manfred Hermann Schmid eine weitere prägende Persönlichkeit verloren.

Es wird ihm ein stets ehrendes Andenken bewahren.