Ein Studienangebot der Universität Tübingen, das nicht in Tübingen, sondern in Gabun stattfindet und an dem nur Nicht-EU-Bürgerinnen und -Bürger teilnehmen dürfen? – Das ist einmalig in Deutschland, vermutet Theresa Kahl, die Projektkoordinatorin des neuen Masters „Infection Biology and Control“. „Wir arbeiten bereits seit Mitte der 1990er-Jahre mit dem Centre de Recherches Médicales de Lambaréné (CERMEL) in Gabun zusammen“, erklärt Professor Dr. Steffen Borrmann vom Institut für Tropenmedizin. Das CERMEL befindet sich am Albert Schweitzer Hospital eben in Lambaréné, nahe am Äquator, mitten im zentralafrikanischen Regenwald und am Fluss Ogooué. Diese Region gilt als eines der von Infektionskrankheiten am stärksten belasteten Gebiete der Welt.
Das CERMEL hat sich in den vergangenen 30 Jahren zu einem der wichtigsten Zentren für die Erforschung und Behandlung vor allem von Malaria etabliert. Noch immer sterben mehr als 600.000 Menschen pro Jahr an der Krankheit – das entspricht der Einwohnerzahl von Stuttgart. „In den Ländern Zentralafrikas besteht ein großer ungedeckter Bedarf an einer qualitativ hochwertigen Ausbildung in der Infektionsbiologie“, begründet Borrmann die ungewöhnliche Kooperation, die vom DAAD gefördert wird, und führt weiter aus: „Unser Ziel ist es, die nächste Generation von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern in Afrika mit dem Wissen und den Fähigkeiten auszustatten, die für die Bewältigung der enormen aktuellen und zukünftigen Herausforderungen im Bereich der Infektionskrankheiten notwendig ist.“
Innerhalb von zwei Jahren und insgesamt 19 Kursen sowie der Masterarbeit lernen die Studierenden während des Masterstudienganges „Infection Biology and Control“ die Grundlagen von Infektionskrankheiten kennen, verstehen wichtige Teile der Molekular- und Zellbiologie, befassen sich aber auch mit Mathematik und Statistik und stehen selbstverständlich viel im Labor, um sich etwa mit molekularen Nachweisen, Zellkulturen und krankheitsübertragenden Insekten zu beschäftigen. Voraussetzung für die Zulassung zum Studiengang sind deshalb ein Bachelor in Biologie oder einem affinen Fach, der mindestens mit einer Drei abgeschlossen wurde. Außerdem müssen die Studierenden in dem französisch geprägten Land die Unterrichtssprache Englisch sehr gut sprechen können und über französische Grundkenntnisse verfügen, um auch im Labor kommunizieren zu können. „Ausreichende Sprachkenntnisse in beiden Sprachen vorzuweisen, ist für viele Bewerberinnen und Bewerber ein Stolperstein“, beschreibt Theresa Kahl.
Da der Unterricht in dem 2-Millionen-Einwohner-Land stattfindet, wird Steffen Borrmann vor allem für das erste Fachsemester oft in Gabun sein. Die Module sind als zweiwöchige Blockseminare geplant, neben dem Tropenmediziner werden weitere Kolleginnen und Kollegen aus dem Institut für Tropenmedizin und auch anderen kooperierenden Forschungseinrichtungen die Studierenden unterrichten. „Der Koordinationsaufwand ist enorm“, sagt Theresa Kahl. Umso motivierender sei es, dass die vielen Absprachen mit ihrer Kollegin am CERMEL, Dr. Chimène Nze Nkogue, sehr gut funktionieren und dass sie spüre, dass alle Beteiligten sich für dieses Leuchtturmprojekt engagieren, so Kahl. Sei es für den Abschluss des Kooperationsvertrags zwischen der Universität Tübingen und dem CERMEL oder sei es, den vielen kleinen Herausforderungen dieser internationalen Zusammenarbeit gerecht zu werden, erklärt die Studiengangskoordinatorin. Und stürzt sich gleich wieder in die Arbeit. Denn letztlich steht die Universität Tübingen dafür ein, dass das Studium den Master-Standard erfüllt und die Absolventinnen und Absolventen sich nach dem Studium gegebenenfalls für eine Doktorandenstelle weltweit bewerben können. Außerdem wird das Projekt nach dem ersten Durchlauf 2025 evaluiert und die Förderung bei positiver Auswertung bis 2030 verlängert.
Der neue Studiengang ist zudem ein Teil des CAIDERA-Projekts (Central African Infectious Disease and Epidemics Research Alliance). Seit Mai 2021 fördert das Auswärtige Amt über den Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) globale Zentren für Gesundheit und Pandemievorsorge. Das Ausbildungs- und Forschungsprogramm fördert die Forschungskapazitäten und die Zusammenarbeit in der überwiegend frankophonen Region Zentralafrika und soll viralen, bakteriellen und parasitären Infektionskrankheiten schneller begegnen.
Jens Gieseler