Uni-Tübingen

Sind im Garten! - Nature Writing


„Wir haben nichts als unsere Sinne, um der Welt zu begegnen. Und es gilt sie zu schärfen, um diese Erfahrung bewusst zu erleben, also genau hinzusehen, hinzuschmecken, hinzufühlen – und hinzuhören.“

Judith Schalansky

In diesem Seminar haben wir uns schreibend und lesend mit der sogenannten Natur die uns umgibt auseinander gesetzt. Wir übten uns im Nature Writing. Dieses literarische Genre beleuchtet das Verhältnis des Menschen zu seiner Umgebung – zu Landschaft, Lebenswelt und anderen Lebewesen. Im Mittelpunkt steht zumeist ein reflektierendes und wahrnehmendes Ich, das mit seiner lebendigen Um-Welt ein Zwiegespräch führt. Dabei fließen auch kritische Impulse, wie z.Bsp. die Reflexion über das Verhältnis von Natur und Kultur, also auch die Geschichte der menschlichen Naturaneignung ein. Die leibliche Präsenz, die konkrete Tätigkeit des Erkundens und die Reflexion auf die gewonnenen Erkenntnisse werden in der Regel im Text fassbar.

Wir haben im Freien geschrieben, im Grünen sitzend, um hinzusehen, hinzuschmecken, hinzufühlen und hinzuhören. Wir lasen kanonische Texte und versuchten unsere Wahrnehmungen mit poetischer Kreativität festzuhalten. Seminar begleitend wurde eine Veranstaltungsreihe im Hölderlinturm initiert. 

Dies war ein gemeinsames Projekt mit dem Hölderlin-Turm. Gefördert aus Landesmitteln durch die Arbeitsstelle für literarische Museen, Archive und Gedenkstätten in Baden-Württemberg (Deutsches Literaturarchiv Marbach).


Zu Gast im Hölderlinturm

Mit Volker Demuth startete unsere Lyrikreihe zum Nature Writing. Die Lesungen wurden gemeinsam mit dem Hölderlinturm und der Universität Tübingen veranstaltet. Nature Writing ist als Genre vor allem im angloamerikanischen Raum äußerst populär. In diesem Genre geht es um literarische Beschreibungen von Umwelten, Landschaften und Naturerscheinungen aus einer eigenen, persönlichen Perspektive. In der Reihe stellen sich deutschsprachige
Vertreter*innen des Genres vor und nehmen u.a. auch Bezug auf Hölderlin.

Volker Demuth – Die Zeit am Fluss

Die Lesung bereitet das Konzert »Der Klang des Flusses im Rhythmus Hölderlins« vor, das Gedanken aus Volker Demuths Hölderlin-Essay »Die Zeit am Fluss« in eine fließende Collage aus Poesie und Musik transformiert.

Nach Volker Demuth macht die ökologische Krise nicht nur eine neue Politik, sondern auch eine neue Poetik vonnöten. Das Landscape Writing könnte als Vorbild fungieren. Denn seit es dieses dichterische Genre gibt, wird darin eine Sprache erprobt, die die Unterscheidung von Natur- und Kulturräumen durchbricht. Ansätze findet Demuth etwa in Hölderlins Stromgedichten, die die Vision eines durch Raum und Zeit fluiden, und in seiner Vielfalt geeinten Europas verbreiten. Auch in seiner eigenen Dichtung nähert sich Volker Demuth dem Landscape Writing an.

Daniela Danz – Wildniß

Am zweiten Abend unserer Reihe zum Nature Writing las Daniela Danz aus ihrem zuletzt erschienen Gedichtband »Wildniß«. Für einen Auszug aus dem Manuskript zum Band erhielt sie 2019 den Deutschen Preis für Nature Writing. "Wildniß" mit "ß" entdeckte Daniela Danz bei Hölderlin, als Bedrohung und Verheißung zu gleich. Wie eng Hölderlin sie bei ihrer Lese- und Schreiberfahrung stets begleitet, lernen wir nicht zuletzt durch den 2023 erschienen Essay-Band »Nichts ersetzt den Blick ins Gelände«. Es wird also mehr als Zeit, dass Daniela Danz, die Tübinger Stadtschreiberin von 2012, wieder zu einer Lesung in den Hölderlinturm zurückkehrt!

Susanne Eules - »miami t:ex(i)ting«

Für die dritte Gartenlesung zum Nature Writing kam Susanne Eules in den Hölderlingarten. Sie erhielt im letzten Jahr den Deutschen Preis für Nature Writing für ihren Gedichtzyklus »miami t:ex(i)ting«. Dieser ist eine Annäherung an die Paradoxie einer Großstadt, die taumelt zwischen einem kapitalisitschen Hedonismus und der Drohung ihres Untergangs aufgrund des ansteigenden Meeresspiegels.

Susanne Eules ist ein*e deutsch-amerikanische*r transdisziplinäre*r Künstler*in und arbeitet in den Bereichen von geschriebenem Wort, Musik, Soundperformance und visueller Kunst. Zu Eules' Praxis zählen experimentelle Lyrik und visuelle Arbeiten, Stimm- und Instrumentalimprovisation, auch im Austausch mit internationalen Künstler*innen und Performer*innen.

Carolin Callies - Teilchenzoo

Was wäre, wenn die kleinsten Teilchen der Welt, die unsichtbaren Bausteine des Lebens zu uns sprechen könnten? Was hört man, wenn man ihr Wachsen zu körnigen Konstellationen und ihren Zerfall bis hin zur atomaren Spaltung literarisch umkreist? Dieser Frage geht Carolin Callies in ihrem Poem nach. In einer lyrischen Versuchsanordnung blickt sie statt durchs Mikroskop mit den Instrumenten der Sprache auf Einzeller, Kerne, Spreißel und erkundet ihre vielfältigen Verbindungen im menschlichen Körper wie in der Natur. 

Carolin Callies' „Teilchenzoo“ schmiegt sich an die kleinsten Bestandteile der Welt an – und bringt sie durch Sprache zum Strahlen. Das phonetische Vergrößerungsglas öffnet alle Sinne für Sämlinge, Heublumen & Kirschkerne: Ein Gespräch über Schreibprozesse & poetisches Arbeiten, Apfelkerne & nervige Moderationsfragen & das richtige Obst – eine etwas andere Literaturveranstaltung im Hölderlingarten.