Uni-Tübingen

Workshop „Theater im Spannungsfeld zwischen Bedrohung und Ordnung im Spätmittelalter und in der Frühen Neuzeit“, 12. und 13. Dezember 2013, Universität Tübingen

Bericht von Beatrice von Lüpke

Spätmittelalterliche und frühneuzeitliche Theateraufführungen reichen als außergewöhnliche Ereig-nisse aus dem städtischen Alltag heraus. Als meinungsbildendes Medium hat das Theater am Ordnungsdiskurs der Stadt teil und bildet ein Forum, unterschwellige soziale Spannungen zu verhan-deln. Nicht zuletzt deswegen münden die Inszenierungen mitunter in einen offenen, gewaltsamen Konflikt. Diesem ordnungsbedrohenden Potential des Theaters galt die von Prof. Dr. Klaus Ridder veranstaltete SFB-923-Tagung.

Die Eignung der Begriffe ‚Ordnung‘, ‚Unordnung‘ und ‚Bedrohung‘ für die literaturwissenschaftliche und kulturhistorische Analyse erprobten die einleitenden Überlegungen von Rebekka Nöcker und Beatrice von Lüpke (Tübingen). Prof. Dr. Markus Wenninger (Klagenfurt) zeigte den besonderen Unsicherheitsfaktor des vormodernen Fastnachtsfestes auf, indem er auf der Basis von Chroniken des 15. Jahrhunderts den Charakter des Fastnacht als eines Festes der ‚verkehrten Welt‘ beschrieb und schließlich Beispiele für die Eskalation von Bräuchen anführte. Für die im Luzerner Theater fest verankerte Teufelsfigur wies PD Dr. Heidy Greco-Kauffmann (Bern) nach, dass bereits zu Beginn des 15. Jahrhunderts im Zusammenhang mit einem Rügebrauch äußerst bedrohlich wirkende, „in tiufelswîs“ kostümierte Gestalten erwähnt werden, deren Auftreten der Rat zu kontrollieren suchte und sie schließlich in die vom Patriziat inszenierten Osterspiele integrierte.

Den Gründen für das 1624 erfolgte Verbot des Theaterspielens in Zürich galt das Interesse von Dr. Elke Huwiler (Amsterdam), die durch einen Überblick über die Entwicklung des Theaterwesens bis zu diesem Zeitpunkt plausibel machte, dass theatrale Handlungen zwar zur Verbreitung moralischer Lehren und refor-matorischen Gedankenguts genutzt, aber auch – insbesondere dann, wenn auswärtige Schausteller beteiligt waren – als ‚sittenverderbend‘ gefürchtet, massiv kontrolliert und schließlich verboten wur-den. Den Blick auf das französische Theater eröffnete der Vortrag von Prof. Dr. Mario Longtin (On-tario), der zum einen die Bedeutung der Mysterienspiele als kostspieliger und aufwendig inszenierter Spektakel in der spätmittelalterlichen Stadt, zum anderen deren literarische Qualität zwischen geordneten und kontingenten Motiven betonte. In ihrer Interpretation des deutschen und lateini-schen Susanna-Dramas Sixt Birks (1532) zeigte Judith Pfeiffer (Tübingen), inwiefern der Dramatiker zeitgenössischen Ordnungsdiskursen verpflichtet ist: So wolle er die während der Reformation in Basel neu eingeführte Ehegerichtsordnung in seinen Dramen legitimieren und verweise dazu auf teilweise konkurrierendes alttestamentarisches und römisches Recht.

Als eine Auseinandersetzung mit dem reformatorischen Ehediskurs verstand PD Dr. Regina Toepfer (Frankfurt) das von Paul Rebhun verfasste Drama ‚Hochzeit zu Cana‘ (1538), das mit seiner ambivalenten Darstellung von Frauen- und Männerrollen die Brisanz der neuen Geschlechterordnung widerspiegele. Dr. Wolf-Henning Petershagen (Ulm) gab auf der Grundlage umfangreichen Quellenmaterials einen Überblick über die Geschichte der Ulmer Fastnachtsverbote, die sich als Reaktion auf Entgrenzungen der Bürger oder auf auswärtige Bedrohungen verstehen lassen. Prof. Dr. Cora Dietl (Gießen) beschloss mit einer Analyse des in Balthasar Thamms Drama ‚Dorothea‘ (1594) inszenierten Volksaufruhrs die von Prof. Dr. Johannes Janota (Augsburg) kommentierte Vortragsreihe.

Workshop "Ungerechte Ordnungen - The Structure and Dynamics of Inequality", 07.-09. November 2013, Universität Tübingen

Bericht von Prof. Dr. Astrid Franke und Nicole Hirschfelder, Dr. des.

Vom 7.-9. November 2013 veranstaltete das SFB 923-Teilprojekt C03 „Multiple Bedrohungen in amerikanischen Rassenbeziehungen nach 1945“ den Workshop „Ungerechte Ordnungen: The Structure and Dynamics of Inequality.“ Die Gruppe der Vortragenden des Workshops setzte sich sowohl aus nationalen als auch aus internationalen WissenschaftlerInnen verschiedener Fachdisziplinen zusammen. Ziel des Workshops war es, besonders jene Ordnungen in den Blick zu nehmen, welche Ungerechtigkeit und Ungleichheit strukturieren. Diese Perspektive erlaubte es, die, vor allem im allgemeinen Sprachgebrauch vorhandene, positive Konnotation des Wortes „Ordnung“ kritisch zu hinterfragen.

Prof. Dr. Christa Buschendorf (Amerikanistik, Frankfurt) eröffnete den Workshop mit ihrem Vortrag zu Pierre Bourdieus Konzept von symbolischer Gewalt. Anhand eines literarischen Beispiels zeigte sie, auf welch subtile und komplexe Weise Ungleichheit Ausdruck findet und somit Machtverhältnisse von allen Akteuren bewusst und unbewusst perpetuiert werden.

Am zweiten Tag des Workshops wurden verschiedene „ungerechte Ordnungen“, aber auch darin typische Wirkungsmechanismen und Strukturen in Vorträgen vorgestellt, analysiert und anschließend auf der theoretischen und ggf. historischen Grundlage diskutiert.

Dr. Birte Christ (Gießen) setzte sich in ihrem Vortrag anhand literarischer und kulturwissenschaftlicher Beispiele kritisch mit dem Forschungsfeld der Poverty Studies auseinander und zeigte zudem Parallelen zu Problemstellungen aus den Gender Studies, die sich mit der Geschlechterordnung beschäftigen, auf.

Julie Ann McMullin (PhD) (Canada) beschäftige sich mit soziologischen Fragestellungen zu Ungleichheit im Allgemeinen und legte in diesem Zusammenhang besonderes Augenmerk auf die Differenzkategorie „Lebensalter.“ Sie machte deutlich, dass die Wirkmächtigkeit dieser Kategorie bislang weitestgehend unterschätzt wird.

Der Historiker Eric Arnesen (PhD) (Washington) lieferte in seinem Vortrag einen umfassenden Überblick über die Geschichte von Rassismus in den USA und verwies auf die ökonomischen Auswirkungen dieser Ungerechtigkeit, welche bis heute nachwirken. Um dies aufzuzeigen, zog er als Fallbeispiel die Ereignisse nach Hurrikan „Katrina“ im Jahr 2005 heran.

Nicole Hirschfelder (Tübingen) setzte sich anhand des historischen Falles des Bürgerrechtlers Bayard Rustin mit der Frage auseinander, wie Ungleichheit soziale Gefüge durchdringt. Ausgehend von Rustins vermeintlichem Einzelschicksal wurde deutlich, dass es sich bei Unterdrückung innerhalb unterdrückter Gruppen um ein soziales Phänomen handelt und somit Macht eine zentrale Position zukommt.

Tübingen, den 5. Dezember 2013

Lehrerfortbildung: "Wissenschaft trifft Unterricht", 2. Oktober 2013, Universität Tübingen

Bericht von Yvonne Macasieb

Am 2. Oktober 2013 fand die Lehrerfortbildung „Wissenschaft trifft Unterricht: Aktuelle historische Forschungsergebnisse als Bereicherung für den Geschichtsunterricht. Entwicklung praktischer Unterrichtsbeispiele für die Sekundarstufe I und II“, ausgerichtet durch den Sonderforschungsbereich 923 (SFB) „Bedrohte Ordnungen“ und das Staatliche Seminar für Didaktik und Lehrerbildung (Gymnasien), statt. An der Universität Tübingen trafen sich 40 Geschichtslehrer aus unterschiedlichen Gymnasien Baden-Württembergs, um gemeinsam mit Mitarbeitern des SFB 923 neue Aspekte und Themen aus der derzeitigen Forschung für ihren Unterricht zu erarbeiten.
Nach der Begrüßung von Prof. Dr. Ewald Frie und Prof. Roland Wolf wurden das Forschungs-programm des SFB und das Konzept der Fortbildung vorgestellt. Die Lehrer konnten zwischen mehreren Modulen auswählen. Diese bestanden jeweils aus einem wissenschaftlichen Impulsreferat und einer Einführung in das neue Quellenmaterial. Die einzelnen Module wurden von Didaktikern und Mitarbeitern des SFB 923 gemeinsam vorbereitet. Im Anschluss an die Vorträge entwickelten die Arbeitsgruppen in den Modulen neue Lehr- und Lernansätze. Die Teilnehmer der Module beschäftigten sich mit den folgenden Themen: Dr. Christine Knauer hielt einen Vortrag über den Kalten Krieg mit dem Aspekt der gegenseitigen Wahrnehmung und dem Einfluss auf die „Dritte“ Welt. Der Schwerpunkt des Moduls, das in Kooperation mit Andrea Kimmi-Bühler und Sandra Wolff vorbereitet wurde, lag auf der Analyse der Multiperspektivität der noch heute prägendsten Phase der Zeitgeschichte. Prof. Dr. Frie. Prof. Wolf und Dr. Jürgen M. Schmidt behandelten „Hungerkatastrophen und die soziale Frage“ von der Frühen Neuzeit bis zur Industrialisierung. Im Fokus der Diskussion lag das Bewältigungsverhalten der unterschiedlichen Akteure in den Krisen. „Zwischen FDJ und Beat in Blue Jeans: Jugend in der DDR“ war der Titel des dritten Moduls, das von Maria Schubert und Carmen Windholz aufbereitet wurde. Sie erläuterte die unterschiedlichen Jugendkulturen der DDR von 1950 bis 1965 und inwieweit diese, trotz strenger ideologischer Trennung, durch den Westen beeinflusst wurden. Das Modul „Armer Adel“ verglich das Leben verarmter Adliger mit dem von Frauen aus anderen Gesellschaftsschichten und zeigte daran den Übergang von der ständischen zur industriellen Gesellschaft auf. Das Modul wurde von Chelion Begass, Jacek Klimek, Johanna Singer und Birgit Wahl-Bucka betreut.
Im Anschluss an die separaten Modulsitzungen wurden die Ergebnisse auf einem „Markt der Möglichkeiten“ dargestellt, diskutiert und die erarbeiteten Lernansätze auf Plakaten festgehalten. Darüber hinaus präsentierten weitere Teilprojekte des Sonderforschungsbereiches ihre Themen, die ebenfalls im Unterricht einfließen können. Birger Hass und Arne Hordt stellten ihre Ergebnisse zu den Arbeiterunruhen in den 1920er und 1980er Jahren in der Weimar Republik und England vor.
Der interdisziplinäre Sonderforschungsbereich (SFB) 923 „Bedrohte Ordnungen“ ist an die Universität Tübingen angeschlossen. Eruntersucht soziale Gefüge in Situationen, in denen die bestehende Ordnung durch innere oder äußere Faktoren bedroht ist. Die WissenschaftlerInnen beforschen die Historisierung von Krisendiagnostiken sowie die Untersuchung von Modi des schnellen sozialen Wandels. Ihr Ziel ist die Etablierung neuer Raum‐ und Zeitkategorien in den Geisteswissenschaften. Der SFB 923 wird seit dem 1. Juli 2011 von der Deutsche Forschungsgemeinschaft für die Dauer von vier Jahren gefördert.
Yvonne Macasieb stellte ihr Seminar „Bedrohte Ordnung in Filmen“ vor. Sie zeigte, wie anhand moderner Spielfilme beispielsweise „The Day After Tomorrow“ die Themen Bedrohung und Krise im Medium „Film“ dargestellt und im Unterricht erarbeitet werden können. Den Abschluss der Veranstaltung bildeten eine Feedbackrunde und ein Erfahrungsaustausch.
Der Sonderforschungsbereich 923 bedankt sich bei dem Seminar für Didaktik für die erfolgreiche Zusammenarbeit. Eine weitere Kooperationsveranstaltung ist für das Frühjahr 2015 geplant.