Newsletter Uni Tübingen aktuell Nr. 1/2010: Leute
Tragende Säule der Tübinger Mediävistik
Zum Tod von Prof. Dr. Paul Sappler ein Nachruf von Klaus Ridder
"In der Mediävistischen Abteilung des Deutschen Seminars an der Universität Tübingen ist Paul Sappler seit Jahrzehnten eine tragende Säule, eine Institution – auch nach seinem 2004 erfolgten Eintritt in den Ruhestand". So beginnt die Festschrift, die Schüler, Kollegen und Freunde Paul Sappler zum 70. Geburtstag überreichten. Das Geburtstagskolloquium im Juni 2009 gab noch einmal Gelegenheit mitzuerleben, wie Paul Sappler, schon gezeichnet von schwerer Krankheit, mit Wissenschaft umging: selbst in Phasen enormer Belastung hochkonzentriert, mit einer großen Begeisterung für die Philologie, aufgeschlossen, jederzeit ansprechbar und mit einer leichten Art des Kommunizierens, die spielerische Freude an Widerspruch und Polemik einschloss. Am 14. April 2010 ist er im Kreise seiner Familie gestorben.
Dem Tübinger Deutschen Seminar ist Paul Sappler schon seit 1964 verbunden, zunächst als "Verwalter" einer Assistentenstelle bei Hanns Fischer. Die Promotion erfolgte noch in München, die Habilitation dann bereits in Tübingen. Von 1968 bis 1976 war er Assistent und seit 1980 Professor in Tübingen. Zusammen mit Hanns Fischer hat Paul Sappler maßgebliche Editionen von mittelalterlichen Verserzählungen (Mären) erstellt und insbesondere die Werke Heinrich Kaufringers herausgegeben. Der mittelalterlichen Versnovellistik hat er noch in den letzten Wochen seines Lebens seine ganze Arbeitskraft gewidmet: Er war einer der Leiter des DFG-Langfristprojekts zur Neuedition und Kommentierung der Mären des 13. und 14. Jahrhunderts an den Universitäten Tübingen und Köln. Ferner hat der Lyrik-Kenner Paul Sappler als der berufene Spezialist die letzte Neidhart-Ausgabe in der Reihe ATB neu gestaltet und betreut.
Aus dem unbedingten Interesse an philologischen Fragen ist ein weiterer Schwerpunkt von Sapplers Forschungstätigkeit erwachsen. Er war einer der ersten Nutzer des 'Tübinger Systems von Textverarbeitungsprogrammen' (TUSTEP) und bald einer der besten TUSTEP-Kenner, auf den zahlreiche Verbesserungen des Programmsystems zurückgehen. Bei mehreren mediävistischen Großprojekten hat er Verfahrensweisen der elektronischen Datenverarbeitung entworfen und programmiert, so bei dem zur Zeit neu entstehenden Mittelhochdeutschen Wörterbuch. Weit über das eigene Fach hinaus wurde sein Rat in TUSTEP-basierter Textverarbeitung im In- und Ausland geschätzt und gesucht. Seine Form der Verbindung von traditioneller Editionsphilologie und elektronischer Datenverarbeitung hat den nachwachsenden Generationen Maßstäbe gesetzt.
Das Engagement in einer großen Zahl von Forschungsprojekten hat Paul Sappler nicht davon abgehalten, sich sehr viel Zeit für Studierende zu nehmen. Er verlangte anspruchsvolle Arbeit, konnte individuell motivieren und gute Leistungen auf eine erinnerbare Art würdigen. Geradezu legendär waren seine 'Handschriften- und Berg-Exkursionen': Es gab Studierende im Deutschen Seminar, die seinetwegen – trotz Höhenangst – mehrfach achtunggebietende Berge erstiegen und unter seiner Anleitung mit Begeisterung in einer Klosterbibliothek mittelalterliche Handschriften entziffert haben.
Studierende, Mitarbeiter und Kollegen hat Paul Sappler in einer für den heutigen Wissenschaftsbetrieb ungewöhnlichen Weise an seinen Erfahrungen und Kompetenzen selbstlos teilhaben lassen. Seine Positionen, die er ebenso freundlich wie vehement zu vertreten wusste, waren dabei stets klar und pointiert. Zuletzt hat er gewünscht, dass seine Todesanzeige und die Einladung zur Begräbnisfeier mit TUSTEP – nicht mit Word – gesetzt werden sollten.
Mit Paul Sappler hat die Tübinger Mediävistik eine tragende Säule verloren.
Prof. Dr. Klaus Ridder