Uni-Tübingen

Newsletter Uni Tübingen aktuell Nr. 2/2013: Schwerpunkt

Neue Ansätze für die Lehrerbildung in Baden-Württemberg

Universität Tübingen beabsichtigt Antrag für „School of Education“ einzureichen

Die Expertenkommission Lehrerbildung des Landes Baden-Württemberg hat am 21. März nach einjährigen Beratungen ihren Bericht mit Vorschlägen und Empfehlungen zur Weiterentwicklung des Lehramtsstudiums vorgelegt. Der Bericht wird aktuell viel diskutiert, unter Politikern und Wissenschaftlern. Die Universität Tübingen wird sich in jedem Fall an der Ausschreibung ‚Qualitätsoffensive Lehrerbildung‘ des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) beteiligen: mit dem Konzept einer „School of Education“, die beispielsweise die Fachdidaktiken oder die lehrerbildungsbezogene Forschung aufwerten soll. Thorsten Bohl, Professor für Erziehungswissenschaft mit dem Schwerpunkt Schulpädagogik am Institut für Erziehungswissenschaft der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen der Universität Tübingen, erläutert im Interview mit „Uni Tübingen aktuell“ die neuen Entwicklungen zum Thema Lehramtsstudium. Bohl sitzt auch als Vertreter für den Bereich Pädagogische Studien/Bildungswissenschaftliches Begleitstudium in der Arbeitsgruppe für Lehrerinnen- und Lehrerbildung, einer Arbeitsgruppe der Senatskommission für Studium und Lehre der Universität Tübingen. Das Interview führte Maximilian von Platen.

Derzeit bestimmen zwei Themen die Diskussion zur Weiterentwicklung der Lehrerbildung, auch an der Universität Tübingen: erstens der Bericht der Expertenkommission Lehrerbildung des Landes Baden-Württemberg, zweitens die erwartete Ausschreibung ‚Qualitätsoffensive Lehrerbildung‘ des Bundesministeriums für Bildung und Forschung. Wie schätzen Sie die Empfehlungen der hochrangig besetzten Expertenkommission ein?

Die Vorschläge der Kommission sind sehr weitreichend. Besonders intensiv diskutierte Bereiche sind dabei die Zusammenführung der Lehrämter in ein gemeinsames Lehramt für die Sekundarstufe I und die Sekundarstufe II, die Veränderung der ECTS-Gewichtungen (ECTS = European Credit Transfer and Accumulation; System, zur Beurteilung von Studienleistungen), Inklusion für alle Lehrämter oder auch die Umstellung auf Bachelor- und Masterstudiengänge. Grundsätzlich empfiehlt die Kommission für die Zukunft drei Studienbereiche: Fachwissenschaft, Fachdidaktik und den Bildungswissenschaftlichen Bereich. Eher kritisch sehe ich in dem Kommissionbericht die vorgesehene weitere, wenn auch eher geringfügige Verringerung des fachwissenschaftlichen Anteils, positiv bewerte ich dagegen die längst überfällige Aufwertung des fachdidaktischen Bereiches in den Empfehlungen der Kommission. Allerdings ist fraglich, ob die Vorschläge politisch umgesetzt werden, insbesondere beim gemeinsamen Lehramt Sekundarstufe I / Sekundarstufe II ist bislang noch keine Entscheidung gefallen.

Die Universität Tübingen will sich an der Ausschreibung zur Qualitätsoffensive Lehrerbildung beteiligen. Was soll mit Hilfe des Antrags für eine Tübinger ‚School of Education’ verändert werden?

Die Lehrerbildung an der Universität Tübingen soll über eine School of Education, angedacht als interdisziplinäres und interfakultäres Zentrum, gestärkt werden. Dabei sollen alle lehrerbildenden Fächer und Bereiche eng einbezogen werden. Die School of Education wird mehrere Bereiche deutlich aufwerten, beispielsweise die Fachdidaktiken oder die auf die Lehrerbildung bezogene Forschung. Wir können dabei hier in Tübingen selbstbewusst auf die vorhandene Forschung und Lehre verweisen. Beispielsweise gibt es in zahlreichen Fächern bereits jetzt fachdidaktische Forschung, im erziehungswissenschaftlichen und bildungswissenschaftlichen Bereich ist die Universität Tübingen zudem sehr gut aufgestellt. Eine herausragende Stärke ist die Forschungsleistung der Empirischen Bildungsforschung und damit die Anbindung an die Exzellenzinitiative über die Graduiertenschule LEAD Und die fachwissenschaftliche Expertise in Tübingen ist gerade im Vergleich zu anderen Lehrerbildungsstandorten in Baden-Württemberg hervorragend.

Wie soll der Antrag innerhalb der Universität Tübingen ausformuliert und vorangebracht werden – es sind ja sehr viele Fächer und Bereiche beteiligt?

Die Vorarbeiten für den Antrag laufen seit einiger Zeit. Inzwischen liegt eine Vorskizze vor, die in der Arbeitsgruppe Lehrerbildung diskutiert wurde. Die Fächer sind explizit aufgefordert dazu eine Rückmeldung zu formulieren und ihre Interessen und Möglichkeiten einzubringen. Auch die Dekane und Fakultäten sind informiert. Der nächste Schritt wird eine stärkere Fokussierung sein: in welchen Bereichen der Universität werden Forschungs- oder Entwicklungsprojekte verbindlich konzipiert? Welche Ressourcen sind notwendig?

Welche Besonderheiten weist die Lehrerausbildung generell in Baden-Württemberg auf?

Die Aufteilung der Lehrerbildung in Universitäten, die für das gymnasiale Lehramtsstudium zuständig sind, und in Pädagogische Hochschulen, die bisher für den Bereich Grundschule, Hauptschule bzw. Werkrealschule und Realschulen zuständig waren, ist bundesweit inzwischen einmalig. Das macht die Weiterentwicklung über Schularten hinweg schwierig, betont statt dessen unterschiedliche Ausrichtungen. Zudem bestehen an den Universitäten grundlegende Strukturprobleme, beispielsweise fehlende forschungsorientierte Professuren in den Fachdidaktiken, weitgehend auf Organisation und Service beschränkte Zentren für Lehrerbildung oder der schwach ausgestattete dritte Bereich mit dem Bildungswissenschaftlichen Begleitstudium, dem Modul Personale Kompetenz und dem Ethisch-Philosophischen Grundlagenstudium (EPG).

Warum besteht die Notwendigkeit, das Lehramtsstudium erneut zu reformieren? Was sind die Ziele dabei?

Die Gründe sind vielfältig: Neue Forschungserkenntnisse, veränderte Schulsysteme, neue Anforderungen an den Lehrerberuf, gesellschaftliche Herausforderungen. Im Hintergrund stehen immer zwei Fragen: Was ist ein sehr guter Lehrer? Wie können wir dafür sorgen, dass Lehrkräfte sehr gut werden?

Welche Formen der Kooperation zwischen Universitäten und PHs sind für die Zukunft angedacht? Werden künftig alle ausgebildeten Lehrer in allen Schulformen unterrichten können, Stichwort Gemeinschaftsschule?

Die Kommission Lehrerbildung schlägt ein gemeinsames Lehramt für Sekundarstufe I und Sekundarstufe II vor, damit alle Lehrkräfte eine hohe fachwissenschaftliche Ausbildung erhalten und beispielsweise auch an Gemeinschaftsschulen Lehrkräfte auf gymnasialem Niveau unterrichten können. An mehreren Standorten in Baden-Württemberg werden Pädagogische Hochschulen mit Universitäten kooperieren. An der Universität Tübingen soll hingegen eine eigenständige Lehrerbildung ohne weitreichende Kooperationsformate mit Pädagogischen Hochschulen entstehen. Im Zentrum wird dabei die beantragte ‚School of Education’ stehen.