Die 10. Tübinger Mediendozentur war ein Publikumsmagnet – der Leiter des ARD-Hauptstadtstudios Ulrich Deppendorf sprach vor mehr als 1.000 Zuhörern über das Verhältnis von Journalismus und Politik.
Es vergeht kaum ein Tag, an dem nicht neue Affären zum Thema werden, Politiker unter Rechtfertigungsdruck geraten, Rücktrittsforderungen kursieren, Krisen und Skandale die öffentliche Agenda bestimmen. Zahlreiche Journalisten arbeiten heute im Regierungsviertel von Berlin; ein Heer von freien Mitarbeitern sucht nach Neuigkeiten; Atemlosigkeit und Konkurrenzdruck nehmen im Zeitalter der blitzschnellen Informationsübermittlung und der digitalen Überall-Medien weiter zu. Das Wettrennen um die Aufsehen erregende Enthüllung hat, so Ulrich Deppendorf, auf dem Berliner Parkett inzwischen groteske Züge angenommen und droht die grassierende Politikverdrossenheit zu verschärfen.
In seinem Vortrag an der Universität Tübingen analysierte der Leiter des ARD-Hauptstadtstudios Mitte Juni vor mehr als 1.000 Zuhörern in einem bis auf den letzten Platz besetzten Festsaal die Bedingungen des Medienhypes in der Hauptstadt. Er zeigte am Beispiel der Affären um Christian Wulff, Rainer Brüderle und Karl-Theodor zu Guttenberg Möglichkeiten und Nachlässigkeiten der Berichterstattung und diagnostizierte eine neue Gnadenlosigkeit im Verhältnis von Journalismus und Politik, an der beide Seiten ihren Anteil haben. Ulrich Deppendorf in seiner Tübinger Rede: „Die Politikberichterstattung ist schneller geworden. Der Konkurrenzdruck hat im Zeitalter des Internet und der Online-Dienste unglaublich zugenommen. Es zählen mittlerweile Sekunden, wenn es darum geht, wer die erste Meldung, wer die erste Einschätzung über ein Ereignis verbreitet. Die zugespitzte Schlagzeile entscheidet über die größte Aufmerksamkeit. Allerdings sind es beileibe nicht nur die Journalisten, die die gnadenlose Republik mitgestalten. Es sind die Politiker selbst, die oft ohne weitere Prüfung, ohne vertiefende Kenntnisse der Sachlage sofort ihre Kommentare in alle möglichen Mikrofone sprechen und sich dem medialen Druck bereitwillig beugen.“
Der Vortrag Deppendorfs war der Höhepunkt der 10. Tübinger Mediendozentur, zu dem das Rektorat der Universität Tübingen, das Studio Tübingen des Südwestrundfunks (SWR) und das Institut für Medienwissenschaft (IfM) der Universität Tübingen eingeladen hatten. In Vorbereitung auf den Vortragsabend, der mit einem festlichen Empfang ausklang, befassten sich Studierende der Medienwissenschaft mit der Frage, wie sich das Verhältnis von Journalismus und Politik insgesamt beschreiben lässt, wer sich wem aus welchen Gründen anpasst oder aber verweigert. Und sie gestalteten unter fachkundiger Anleitung von SWR-Journalisten Radiobeiträge über die Bedeutung regionaler Medien, den allmählichen Niedergang der Piratenpartei und den NSU-Prozess. „Medienwissenschaft“, so Professor Dr. Bernhard Pörksen und Studioleiter Dr. Andreas Narr über das gemeinsame Projekt, „heißt, dass man in verschiedenen Köpfen denken lernt, Theorie und Praxis zu verbinden weiß.“
BP