Uni-Tübingen

Newsletter Uni Tübingen aktuell Nr. 5/2015: Forschung

Nervenzellen im Krähengehirn ordnen Bilder richtig zu

Während des Lernens entstehen Reaktionsmuster, die relevante Zusammenhänge anzeigen ‒ ähnlich wie beim Säugetier

Krähen sind dafür bekannt, dass sie schnell Zusammenhänge herstellen können: nur so können sie sich erfolgreich in unseren Städten zurecht finden und lernen, wie man mit Ampeln umgeht, wer ihnen Nüsse mitbringt, und welche Menschen man besser meiden sollte. Wie das Gehirn der Krähen solche Lernaufgaben meistert, das konnten Forscher der Universität Tübingen in einer Studie zeigen, die Ende November im Fachjournal PNAS (Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America) erschienen ist.

In der Aufgabe ging es darum, beliebige Bilder in zwei verschiedene Gruppen einzuteilen – manche Bilder waren der Farbe „blau“ zugeordnet, andere der Farbe „rot“. Nachdem sie einen Vogel gesehen hatten, mussten die Krähen beispielsweise ein rotes Quadrat mit dem Schnabel berühren, wohingegen ein Blumenbild die Auswahl eines blauen Quadrates erforderte. Zunächst mussten die Krähen durch Ausprobieren/Raten lernen, welche Bilder zu welcher Farbe gehörten. Durch Belohnung für jede richtige Antwort lernten die Krähen innerhalb weniger Wiederholungen die passenden Zusammenhänge für jedes neue Bild.

Durch die gleichzeitige Messung von Hirnströmen konnten die Forscher zeigen, was sich während des Lernens im Gehirn der Krähen abspielt. Einzelne Nervenzellen reagierten unterschiedlich auf die verschiedenen Bilder. Dabei gab es Zellen, die mit ihrer Aktivität die Bilder je nach der erforderlichen Antwort gruppierten: Eine der Zellen antwortete stark auf alle Bilder der Gruppe „blau“, eine andere auf Bilder der Gruppe „rot“, trotz unterschiedlicher Bildmotive. Die Zellen speicherten also nicht die Bildmotive im Arbeitsgedächtnis, sondern gleich die mit den Bildern assoziierten Antwortgruppen. Dabei spielte es keine Rolle, ob die Krähen die richtige Antwort erst erlernt hatten oder ob sie die Bilder schon länger kannten.

Den Tübinger Neurobiologen gelang es, einzelne Nervenzellen über den Lernprozess zu verfolgen. So konnten sie zeigen, dass sich diese Selektivität innerhalb weniger Minuten ausbildet: „Es ist schon erstaunlich, wie schnell die Krähen diese Assoziationen lernen können – und wie man den Nervenzellen beim Lernen zusehen kann“, sagt Erstautorin Dr. Lena Veit. „Während des Ratens reagierten viele Zellen kaum auf ein unbekanntes Bild, aber nach wenigen Versuchen, sobald die Krähe die richtige Antwort gelernt hatte, zeigten sie für das gleiche Bild die richtige Antwort an.“

Diese Art der Speicherung im Arbeitsgedächtnis macht offensichtlich Sinn: man muss sich weniger Details merken, und ist gleich auf die richtige Antwort vorbereitet. „Bisher kannte man diese Art der Verarbeitung nur bei Affen“, sagt Projektleiter Professor Dr. Andreas Nieder. „Es verwundert, dass wir ähnliche Lernstrategien in den unterschiedlich aufgebauten Endhirnen von Vögeln und Säugetieren finden“. Die Forscher fanden aber auch kleine Unterschiede zum Lernen bei Säugetieren. „Die große Frage ist nun, was der unterschiedliche Aufbau des Gehirns für das Zusammenspiel verschiedener Hirnregionen beim Lernen bedeutet.“

Publikation:

Lena Veit, Galyna Pidpruzhnykova, Andreas Nieder. Associative learning rapidly establishes neuronal representations of upcoming behavioral choices in crows. Proceedings of the National Academy of Sciences of the USA. Online Early Edition, Nov 23-27, 2015. http://www.pnas.org/content/early/recent

Antje Karbe

Kontakt:

Prof. Dr. Andreas Nieder
Universität Tübingen
Institut für Neurobiologie – LS Tierphysiologie
andreas.nieder[at]uni-tuebingen.de