Newsletter Uni Tübingen aktuell Nr. 5/2015: Leute
Pionier für die Forschung und Lehre auf dem Gebiet Allgemeinen Relativitätstheorie in Deutschland
Zum Tode von Professor Dr. Herbert Pfister ein Nachruf von Jörg Frauendiener, Domenico Giulini und Markus King
Am 16. September 2015 ist Herbert Pfister nach kurzer Krankheit gestorben. Er war Professor für Theoretische Physik an der Universität Tübingen.
Herbert Pfister wurde am 10. März 1936 in München geboren. Seine lebenslange Faszination an der Physik machte sich schon früh bemerkbar. Ein spektakulärer Knalleffekt bei einem Schulexperiment und insbesondere die absolute Zuverlässigkeit und Berechenbarkeit von physikalischen Effekten beeindruckten den damals 13-jährigen so sehr, dass er beschloss Mathematik und Physik zu studieren. Bereits mit 22 Jahren legte er das Staatsexamen mit einer Zulassungsarbeit in Mathematik über Darstellungen diskreter Gruppen an der Ludwig-Maximilian-Universität ab.
Anschließend promovierte er in München bei Fritz Bopp in Theoretischer Physik mit einem Thema zum Bopp'schen „Fusionsmodell“ über den Aufbau von Elementarteilchen aus noch fundamentaleren Bestandteilen.
In den Assistenzjahren ab 1962 kam es zu ersten Kontakten mit der Einstein'schen Gravitationstheorie. Während einer Sommerschule über Elementarteilchenphysik und Allgemeine Relativitätstheorie (ART) im Jahr 1964 an der Brandeis-Universität besuchte er die Vorträge von Hermann Bondi, der ihn sehr beeindruckte. Er widerstand jedoch diesen ersten Versuchungen, in die ART zu wechseln und widmete sich phänomenologischen Fragen der elektromagnetischen Wechselwirkung von Hadronen. Im Jahr 1970 habilitierte er sich, inzwischen an die Universität Tübingen gewechselt, mit einer Schrift über die analytischen Eigenschaften von Streuamplituden.
Die entscheidende Motivation sich der ART zuzuwenden war für Herbert Pfister, neben einer eindrücklichen Begegnung mit John Wheeler anlässlich eines Enrico-Fermi Kurses am Comer See 1977, die große Unzufriedenheit, sogar Ratlosigkeit, die ihn bei der Vorbereitung der Vorlesung über Theoretische Mechanik 1972/73 befiel. Die Behandlung der Grundlagen, insbesondere des 1. Newton'schen Axioms, in den einschlägigen Lehrbüchern empfand er als vollkommen unzureichend und sogar „eine Beleidigung von Newtons Genie“. Die Frage, wie das Trägheitsgesetz physikalisch und mathematisch einwandfrei zu formulieren sei und welche Konsequenzen sich daraus ergäben, beschäftigten ihn dann intensiv während seiner aktiven Laufbahn und darüber hinaus.
Während eines Forschungssemesters am MPI für Astrophysik in Garching überzeugte ihn Jürgen Ehlers sich mit dem Zentrifugalkraft-Problem in der ART zu befassen. Von den frühen 1980er- bis Mitte der 1990er-Jahre hinein widmete er sich diesem Problem und anderen Phänomenen des sogenannten Gravitomagnetismus. Herbert Pfister übernahm das bereits von Einstein benutzte Modell einer Massenschale, um viele verschiedene Szenarien im Hinblick darauf zu testen, inwieweit das „Mach'sche Prinzip“ in der ART verwirklicht ist. Auf diese Weise konnte er 1985 zeigen, dass unter gewissen Voraussetzungen die Ideen Machs und Einsteins zur Relativität der Rotation von der ART vollständig realisiert werden. So ist beispielsweise die Trägheitsstruktur innerhalb einer massiven rotierenden Schale von dieser vollständig bestimmt, ganz im Sinne der Mach'schen Kritik am Newton'schen Eimerversuch.
International große Beachtung fand 1993 eine von Julian Barbour und Herbert Pfister organisierte Tagung führender Experten in Tübingen zum „Mach'schen Prinzip“, deren Konferenzband, „Mach's Principle: From Newton's Bucket to Quantum Gravity“, heute noch ein Standardwerk zu diesem vielschichtigen Themengebiet ist.
Mathematisches Forschungsgebiet ab Mitte der 1990er-Jahre waren die Randwertprobleme für die stationären Einsteingleichungen und ihre Anwendung auf rotierende Sterne. Hier konnte er zusammen mit Urs Schaudt Fortschritte erzielen und beweisen, dass die stationär-axialsymmetrischen Einsteingleichungen mit generischen Randbedingungen lösbar sind.
Herbert Pfister faszinierten die Grundlagenfragen der ART und der gesamten Physik. Mit seiner Arbeit und seiner Persönlichkeit hat er wesentlich zur Wiederbelebung der Forschung und Lehre auf dem Gebiet der ART in Deutschland beigetragen. Auch über die Geschichte seines Faches wusste er bestens Bescheid und publizierte darüber. Er wollte den Dingen immer soweit als möglich auf den Grund gehen, sie verstehen. Diese Einstellung wurde auch in seiner Lehre deutlich spürbar. Noch heute geraten viele ehemalige Tübinger Physik-Studenten ins Schwärmen wenn von seinen exzellenten Vorlesungen über Theoretische Physik die Rede ist, die immer tiefe Einsichten in das Fach vermittelten.
Auch außerhalb von Forschung und Lehre war Herbert Pfister ein beispielhafter Akademiker alter Schule und ein bescheidener Mann mit Prinzipien, der seinen Beruf stets als Berufung sah und als Privileg empfand. Zuletzt veröffentlichte er im Frühjahr dieses Jahres das Buch „Inertia and Gravitation: The Fundamental Nature and Structure of Space-Time“, den beiden zentralen Themen seiner wissenschaftlichen Laufbahn gewidmet.
Privat liebte Herbert Pfister die Kunst, die Philosophie und die Musik, insbesondere das Geigespielen, und bis vor wenigen Jahren noch das Wandern und Skifahren in den Alpen mit seiner Frau Anneliese.
Wir werden Herbert Pfister sehr vermissen.