Uni-Tübingen

Newsletter Uni Tübingen aktuell Nr. 1/2016: Forschung

Strukturen, die sich verwandeln

Friedrich Wilhelm Bessel-Forschungspreisträger Professor Dr. Shih-Yuan Liu zu Gast an der Universität Tübingen

Shih-Yuan Liu ist Professor für Chemie am Boston College in den USA und aktuell als Träger des Friedrich Wilhelm Bessel-Forschungspreises der Humboldt-Stiftung zu Gast an der Universität Tübingen. Seit 2008 kennt er seinen Gastgeber am Institut für Organische Chemie, Professor Dr. Holger Bettinger. Die Forschung der zwei Chemiker überschneidet sich auf dem Gebiet der reaktiven Zwischenstufen des Benzol-Moleküls, das Professor Liu besonders fasziniert. Gemeinsam mit Bettinger hat er in einer Arbeit einen Bor-Stickstofabkömmling des Dehydrobenzols beschrieben. Das Dehydrobenzol wurde vom späteren Nobelpreisträger Georg Wittig ausführlich auch während seiner Tübinger Zeit beschrieben. Dieses Dehydrobenzol ist heutzutage eine sehr wichtige Zwischenstufe in der präparativen organischen Chemie.

Liu greift zum Stift und zeichnet das bekannte Sechseck. “Dieses Motiv ist überall in der organischen Chemie”, sagt er, “Das ist die quintessenzielle Struktur der Aromatenchemie.” Liu hat die synthetisch-technischen Möglichkeiten den klassischen Benzolring zu verändern. Zwei der Kohlenstoffatome werden durch ein Bor- und ein Stickstoffatom ersetzt. Das schafft ein sogenanntes Azaborin Molekül mit vielen neuen unerforschten Eigenschaften, das beispielsweise in einer Vielzahl verbundenen Exemplaren als organischer Halbleiter fungieren könnte. “Mit dem Austausch zweier Kohlenstoffatome schaffen wir einen neuen chemischen Raum, ein synthetisches Werkzeug, mit dem man neue Pharmazeutika oder andere Anwendungen in Materialwissenschaften schaffen könnte” sagt Liu begeistert.

Liu erforscht zusammen mit Holger Bettinger die Merkmale der neu geschaffenen Moleküle mittels der seltenen Matrixisolations Ausrüstung, die in Tübingen zur Verfügung steht: Die zu untersuchende Substanz wird auf eine hohe Temperatur erhitzt, die daraus ergebende reaktiven Zwischenstufen dann auf einer kalten Scheibe „ausgefroren“. Dieser Prozess ermöglicht es den Wissenschaftlern, die sonst nicht isolierbaren Zwischenstufen festzuhalten, zu isolieren und spektroskopisch zu analysieren. Dabei entsteht eine synergetische Zusammenarbeit: „Heute ist ein Paket von meiner Forschungsgruppe am Boston College angekommen. Man hat Derivate von Bor-Stickstoff-Verbindungen gemacht, die hier von Tübinger Studierenden analysiert werden.“

Die Ergebnisse lassen selbst die Wissenschaftler staunen: „Eine Doktorandin, Klara Edel, hat letztens herausgefunden, dass ein bestimmtes Azaborinmolekül in der Lösung sich in eine ganz andere, Dewar-Benzol-Struktur verwandelt, wenn Licht darauf scheint. Wir vermuten, dass es sich unter Erhitzen zurückverwandeln wird.“

Liu, der Österreicher ist, bleibt bis Juni als Ansprechpartner für Studierende und Kollegen und kommt im Frühjahr 2017 wieder. Er freut sich auf die Gespräche, vor allem auch mit Bettinger: „Wir gehen fast jeden Tag zusammen Mittagessen und es kommen immer gute Ideen dabei raus.“

Amanda Crain