Uni-Tübingen

Newsletter Uni Tübingen aktuell Nr. 3/2016: Leute

Begnadeter Lehrer und profunder Kenner des antiken Judentums

Zum Tode von Professor Dr. Gert Jeremias ein Nachruf von Hermann Lichtenberger

Die Evangelisch-Theologische Fakultät der Eberhard Karls Universität Tübingen trauert um Professor Dr. Gert Jeremias, der am 12. August 2016 im Alter von 80 Jahren in Tübingen nach schwerer Krankheit starb. Gert Jeremias war ein allseitig kompetenter Neutestamentler und einer der besten Kenner des antiken Judentums. Geboren am 3. April 1936 studierte er von 1955 bis 1961 Evangelische Theologie in Göttingen und Heidelberg.

Von entscheidender Bedeutung wurde 1957 ein dreimonatiger Studienaufenthalt zusammen mit Vater und Bruder in Jerusalem, wo der Grund zu seiner Beschäftigung mit den Texten vom Toten Meer gelegt wurde. 1961 wurde er von der theologischen Fakultät Heidelberg mit „Der Lehrer der Gerechtigkeit“ (Druck Göttingen 1963) summa cum laude promoviert. Es folgte der kirchliche Vorbereitungsdienst, seit 1966 war er Wissenschaftlicher Assistent bei K. G. Kuhn in Heidelberg. 1971-72 vertrat er einen neutestamentlichen Lehrstuhl am Garrett Theological Seminary Evanstone (IL), im Wintersemester 1978/79 in Bonn. Inzwischen war er 1975 auf eine neutestamentliche Professur an der Philipps-Universität Marburg berufen worden, 1983 folgte er dem Ruf nach Tübingen.

Auch nach seiner Pensionierung im Jahr 2001 hielt er regelmäßig Lehrveranstaltungen, insbesondere die ihm und nicht wenigen Pfarrerinnen und Pfarrern wichtige und auch für das WS 2016/17 angekündigte „Exegese von Predigttexten im laufenden Kirchenjahr.“ Wissenschaftliche Arbeit und kirchliche Verkündigung waren für ihn untrennbar verbunden.

Sein internationales wissenschaftliches Ansehen beruht auf der Dissertation des 25-jährigen „Der Lehrer der Gerechtigkeit.“ Bei der Mitarbeit an der Heidelberger Qumrankonkordanz war der Student auf sprachliche und formgeschichtliche Besonderheiten von Liedern der Hodayot gegenüber andern aufmerksam geworden, die dann in der gemeinsamen Arbeit in der „(Qumran)Höhle“ als Lehrerlieder und Gemeindelieder unterschieden wurden. Mit philologischer und historischer Präzision gelang es Gert Jeremias, über die Bestimmung des Gegners des „Lehrers“ Zeit und Person des „Lehrers der Gerechtigkeit“ genau zu erfassen. Auch nach 55 Jahren hält seine These allen Gegenargumenten stand.

Jeremias war ein begnadeter Lehrer mit höchsten Ansprüchen an sich und Studierende und Doktoranden, der aber keine Schule wollte, sondern jede und jeden zu eigener wissenschaftlicher Verantwortung verpflichtete. Wie kein anderer konnte er zuhören und raten und war darin Seelsorger für Unzählige. Seine bedingungslose Wahrhaftigkeit machte ihn zu einem Mitglied der Fakultät, dessen Urteil gesucht und hoch respektiert wurde.

Über den „Lehrer der Gerechtigkeit“ wird in einem Qumrantext gesagt, dass Gott ihn sandte, um die Seinen auf den Weg seines (scil. Gottes) Herzens zu führen. Gert Jeremias ist ein solcher „Lehrer der Gerechtigkeit“ gewesen, dem viele Studierende, Kolleginnen und Kollegen sehr viel verdanken.

Die Evangelisch-Theologische Fakultät Tübingen spricht Frau Jeremias, ihren Kindern und Familien ihr tiefes Mitgefühl aus und wird Gert Jeremias immer ein ehrendes Andenken bewahren.