Der Botanische Garten auf der Morgenstelle wurde 1969 eröffnet und feiert dieses Jahr seinen 50. Geburtstag an dieser Stelle. Doch die Geschichte des Botanischen Gartens der Universität Tübingen reicht viel weiter zurück.
Im 16. Jahrhundert nutzte Leonhart Fuchs, einer der Väter der Pflanzenkunde, als Medizinprofessor zunächst seinen Privatgarten am Nonnenhaus für Forschung und Lehre. Der erste offizielle Botanische Garten der Universität lag an der Alten Aula und diente als „Hortus Medicus“ vor allem der Medizinlehre. Hier wurde bereits Tübinger Botanik-Geschichte geschrieben: der Gartenleiter Rudolph Jacob Camerarius (1665-1721) entdeckte hier die Sexualität der Pflanzen, und Johann Georg Gmelin (1709-1755) schrieb hier nach seiner Sibirienreise die Flora Sibirica.
Zu Beginn des 19. Jahrhunderts wurde die Fläche zu klein, und man beschloss den Umzug des Gartens auf die Fläche des Tummelgartens vor dem Lustnauer Tor. Hier wuchs der Botanische Garten während der nächsten Jahrzehnte Stück für Stück: 1839 wurde das erste Gewächshaus fertiggestellt und 1886 konnte ein modernes Palmenhaus an dessen Stelle errichtet werden. Hier wirkte unter anderem Hugo von Mohl (1805-1872) und gründete das Tübinger Herbarium. Er trieb auch die Gründung der ersten Naturwissenschaftlichen Fakultät Deutschlands an der Universität Tübingen voran und wurde schließlich von 1863 bis 1865 ihr erster Dekan.
Nach 150 Jahren wurde der Platz in der Stadt wieder zu knapp und man griff frühere Überlegungen aus den 1930er-Jahren auf, den Botanischen Garten zu verlegen. Man entschied sich für den Standort zwischen Wanne und Morgenstelle, obwohl es dort steile Hänge gab und als Untergrund den äußerst ungeeigneten „Knollenmergel“, heute auch Trossingen-Formation genannt – einen sehr schweren, tonhaltigen Boden, der zu Rutschungen neigt. Aber das Gelände war größtenteils in Staatsbesitz und lag nah am neuen Fernheizkraftwerk. Der Gartenarchitekt Prof. Walter Rossow (1910-1992) gestaltete das Gelände, das heute unter Denkmalschutz steht. Die sanfte Terrassierung der Systematischen Abteilung unterhalb des tropischen Gewächshauses (Tropicarium), die ursprüngliche Wegführung und Sichtachsen sind erhalten, auch wenn der Beton an manchen Stellen heute nicht mehr so schick aussieht wie in den 1960er-Jahren. Das Tropicarium mit seiner sechseckigen Glas-Stahl-Konstruktion ist heute das Wahrzeichen des Botanischen Gartens. Hierzu wurde der Architekt Hermann Blomeier (1907-1982) sogar von einem botanischen Vorbild inspiriert: die unterschiedlich hohen Hexagone des Hauses sollen die schirmartige Form des Wiesen-Kerbels darstellen.
Der Botanische Garten auf der Morgenstelle wurde 1969 als Teil des naturwissenschaftlichen Campus Auf der Morgenstelle und Bindeglied zur benachbarten Wohnsiedlung und zum Naturpark Schönbuch eröffnet. Die botanischen Schwerpunkte im Garten sind heute:
Besonders wertvoll ist die Integration eines Stücks der sich ehemals auf dem Gelände befindlichen Schafweide in die Abteilung „Schwäbische Alb“ des Gartens. Fast ohne große Kulturanstrengungen gedeihen hier auch heute noch Pflanzen der Magerwiesen und zahlreiche Orchideenarten.
Lehre und Forschung sind heute wie früher die zentralen Aufgaben des Botanischen Gartens. Zwar lassen sich botanische Zusammenhänge im digitalen Zeitalter sehr gut mit digitalen Abbildungen und Präsentationen vermitteln. Dennoch sind das Erkennen und Interpretieren von Strukturen an der Pflanze selbst, sowie Formen- und Artenkenntnis in der Natur unverzichtbare Aspekte, für die die Ressourcen des Botanischen Gartens auch heute noch intensiv genutzt werden. Studierende der Biologie, Pharmazie und Geoökologie aber auch der Archäologie sind regelmäßig im Botanischen Garten oder nutzen Pflanzenmaterial aus dem Garten in ihren Kursen.
Über die Jahrhunderte wurde es aber auch immer wichtiger, die Pflanzenvielfalt des Gartens auch der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Wurde im Alten Botanischen Garten noch über die Öffnung für „normale“ Bürgerinnen und Bürger gestritten – beispielsweise waren keine Kinderwagen geduldet –, so ist der Garten heute täglich für die Öffentlichkeit kostenlos zugänglich. Infotafeln und Broschüren vermitteln vielfältige Erkenntnisse zur Pflanzenwelt und ein reichhaltiges Veranstaltungsprogramm bietet nicht nur Fachliches, sondern auch Kulturelles wie zum Beispiel aktuell den Literaturpfad im Arboretum. Seit mehr als 15 Jahren gibt es auch die Grüne Werkstatt, eine Bildungseinrichtung des Gartens für Kinder und Jugendliche. Sie nutzt die enorme Vielfalt im Botanischen Garten, um botanische und ökologische Themen für Schulklassen und auch andere Gruppen anschaulich und erlebnisorientiert zu vermitteln.
Zu den relativ neuen Aufgaben von botanischen Gärten gehört der Artenschutz: seltene und gefährdete Pflanzenarten werden in Zusammenarbeit mit den zuständigen Naturschutzbehörden in botanischen Gärten in „Erhaltungskultur“ genommen, den Besucherinnen und Besuchern präsentiert und im Idealfall auch wieder ausgesiedelt, um die Populationen am Naturstandort zu stärken.
Der Botanische Garten der Universität Tübingen ist heute noch immer beliebter Lehr-, Lern- und Erholungsort für Studierende, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Universität sowie für die Öffentlichkeit – zugleich aber auch einer der schönsten Arbeitsplätze an der Universität Tübingen.
Alexandra Kehl