Uni-Tübingen

Newsletter Uni Tübingen aktuell Nr. 3/2023: Alumni Tübingen

Den Opfern von Femiziden eine Stimme geben

Ein Interview mit der Journalistin Angélica Cruz Aguilar über ihren Dokumentarfilm „VIVAS“, der als Abschlussarbeit an der Universität Tübingen entstand

Frau Cruz Aguilar, an welchen Projekten arbeiten Sie zurzeit? 
An vielen verschiedenen! Mein wichtigstes Projekt ist zurzeit die Europatour meines Films „VIVAS“, einem Dokumentarfilm, der von Gewalt und Frauenmorden in Mexiko handelt. Auf dieser Tour werde ich von einer der Protagonistinnen des Films, Karen Martinely Reyes, deren Tochter Opfer eines Femizids wurde, begleitet. Auf unserer Europatour legen wir auch Halt in Tübingen ein und zeigen den Film an den Science and Innovation Days der Universität.* 

Was hat Sie dazu inspiriert, diesen Film zu drehen? 
Ursprünglich plante ich, als Abschlussarbeit für meinen Master in Medienwissenschaften, einen Kurzfilm über die wachsende feministische Bewegung in Lateinamerika zu drehen. Bei den Dreharbeiten lernte ich jedoch zahllose Mütter kennen, deren Töchter grausam ermordet wurden und die sich seitdem in der Protestbewegung gegen Femizide engagieren. Die Begegnung mit diesen Frauen berührte mich zutiefst. Als Journalistin und Feministin fühlte ich mich verpflichtet, dieses Thema aufzugreifen und die Öffentlichkeit auf das Ausmaß der Gewalt gegen Frauen in Lateinamerika – und speziell in meinem Heimatland Mexiko – aufmerksam zu machen. 

Welche Herausforderungen haben Sie bei der Recherche und der Produktion des Films erlebt?
Es gab einige Herausforderungen: COVID-19 beeinträchtigte unsere Reisemöglichkeiten und auch die Durchführung der Interviews. Da die Proteste gegen Femizide von staatlicher Seite kriminalisiert werden, standen wir zudem vor der Herausforderung, die am Dreh beteiligten Personen vor Angriffen zu schützen. Nicht zuletzt stellte auch die Finanzierung des Films eine Herausforderung dar. Glücklicherweise konnte ich jedoch auf die technische Ausrüstung der Universität zurückgreifen und erhielt fantastische Unterstützung von Professorin Dr. Susanne Marschall, der Direktorin des Zentrums für Medienkompetenz, die auch meine Abschlussarbeit betreute, und Kurt Schneider, dem Geschäftsführer des Zentrums für Medienkompetenz.

Welche Botschaft möchten Sie mit Ihrem Film vermitteln?
Dass geschlechtsspezifische Gewalt nicht weiter ignoriert werden darf! Femizide bilden nur die Spitze des Eisbergs und stehen im Kontext ungleicher Machtverhältnisse. Wir müssen die strukturellen Ursachen dieser Gewalt angehen, die Straflosigkeit bekämpfen und die Rechte der Frauen stärken.

Welche Rolle spielen Kunst und Medien bei der Sensibilisierung für gesellschaftliche Probleme?
Kunst und Medien haben die einzigartige Fähigkeit, komplexe Themen emotional zugänglich zu machen und helfen uns dabei, unser Bewusstsein zu schärfen. Sie können politische Veränderungen vorantreiben und uns im Kampf für Gerechtigkeit und Gleichstellung unterstützen. Wie im Falle von „VIVAS“ können sie den Opfern von Femiziden eine Stimme geben und das Schweigen brechen – was im Idealfall dazu führt, dass sich weltweit mehr Menschen diesem drängenden Problem annehmen. 

Welche Reaktionen haben Sie bisher auf Ihren Film erhalten?
Bislang waren die Reaktionen sehr positiv und ein ermutigendes Zeichen dafür, dass „VIVAS“ einen Beitrag zur Sensibilisierung für Femizide leisten kann. Viele der Reaktionen waren auch sehr persönlich: So erzählten mir immer wieder Frauen nach Vorstellungsende, dass auch sie Opfer von Gewalt wurden. 

Gibt es Ratschläge, die Sie Studierenden, die sich auch für soziale Gerechtigkeit und Frauenrechte interessieren, weitergeben möchten? 
Bringt euch aktiv in Projekte ein, für die ihr brennt! Seid mutig, sprecht Missstände an! Auch die Stimmen von Studierenden können Veränderungen bewirken. Vor allem: Nutzt das Netzwerk eurer Universität, um Projekte voranzutreiben und um Unterstützung zu finden. 

Frau Cruz Aguilar, vervollständigen Sie zuletzt noch diesen Satz. Mein Umfeld wäre überrascht, wenn es wüsste, dass … 
…mein Büro bei der Erstellung von „VIVAS“ dem einer Profilerin glich: Überall klebten Post-Its und Fotos. Es sah aus, als wollte ich den nächsten großen Kriminalfall lösen, dabei waren es nur die Notizen für meinen Dokumentarfilm. 

Das Interview führte Rebecca Hahn 

* Termin

An den Science and Innovation Days der Universität Tübingen haben Sie Gelegenheit, „VIVAS“ zu sehen und Angélica Cruz Aguilar live zu erleben. 

Filmvorführung „VIVAS“

Donnerstag, 9.11.2023, 17.00 – 18.30 Uhr
Museumskino, Am Stadtgraben 2, 72070 Tübingen
Freier Eintritt

Anmeldung: https://VIVAS.eventbrite.com

Podiumsdiskussion „Getötet, weil sie Frauen sind: Individuelle Resilienz und Widerstandserfahrung im Kampf gegen Femizide“

Donnerstag, 9.11.2023, 19.00 – 20.30 Uhr
Museumssaal, Wilhelmstraße 3, 72074 Tübingen 
Podiumsgäste: 

  • Angélica Cruz Aguilar (Alumna der Universität Tübingen, Regisseurin von VIVAS) 
  • Jörg Kinzig (Universität Tübingen, Institut für Kriminologie, Leiter der Forschungsgruppe „Femizide in Deutschland – Eine empirisch-kriminologische Untersuchung zur Tötung an Frauen“) 
  • Susanne Marschall (Universität Tübingen, Institut für Medienwissenschaft) 
  • Karen Martinely Reyes Carranza (Aktivistin) 

Moderation: 
Astrid Franke (Universität Tübingen, Amerikanistik) 

Anmeldung: https://SID_Femizide.eventbrite.com