Uni-Tübingen

Newsletter Uni Tübingen aktuell Nr. 4/2023: Leute

Lehrmeister der Parasitologie und universeller Zoologe

Zum Tode von Professor Dr. Peter Wenk ein Nachruf von Alfons Renz

Weshalb gibt es eigentlich Parasiten und was macht sie so erfolgreich? Über die Hälfte aller Lebewesen durchläuft zumindest eine parasitische Lebensphase. Für die Theodizee sind Parasiten eine Herausforderung ebenso wie für die Medizin, heute speziell in den Tropen. 

Malaria, Flussblindheit, Bilharziose und Schlafkrankheit stehen stellvertretend für die vielen durch Mücken, Fliegen oder Schnecken als Zwischenwirte übertragenen Seuchen. Ihnen galt das wissenschaftliche Interesse von Professor Peter Wenk, der die parasitologische Forschung und Lehre am Tübinger Tropenmedizinischen Institut aufgebaut und bis zu seiner Pensionierung 1989 maßgebend geprägt hat.

Geboren in Brooklyn/New York, aufgewachsen in Friedrichshafen am Bodensee und Biberach wurde er als kaum 18-Jähriger eingezogen. In Russland und Frankreich mehrfach schwer verwundet konnte er erst 1946 das Studium der Biologie und Philosophie in Tübingen bei Kühn, Bünning, Butenandt, Spranger und Weischedel beginnen und in Basel bei Portmann fortsetzen. 1953 promovierte er in Tübingen beim Entomologen Hermann Weber mit einer funktionsmorphologischen Arbeit über den Stechapparat des Hundeflohs. Die meisterhaften Tuschezeichnungen finden sich heute in den biologischen Lehrbüchern. Und sie verschafften ihm viel später noch eine unverhoffte Einladung zu einem Treffen der Flohforscher auf dem Landsitz von Miriam Rothschild bei London.

Gleich nach dem Studium folgte eine erste Anstellung als Wissenschaftlicher Mitarbeiter bei Hoffmann-La Roche in Basel, wo er auch seine spätere Ehefrau Christine kennenlernte. Mit seinem Kollegen Dr. med. Johann-Rudolf Frey experimentierte er mit großem Erfolg über die Funktion des regionalen Lymphknotens bei Hautallergie und die Immunität bei parasitären Pilzkrankheiten der Haut. Als Erster beschrieb er die immunmodulatorische Wirkung von Bacillus Calmette-Guérin (BCG) mit dem Ergebnis einer unspezifischen Schutzwirkung bei experimentellen Infektionen. Heute findet sich dieses Adjuvanz in vielen Impfstoffen. Beim Korrigieren der Textentwürfe für die gemeinsamen Publikationen, über die auch in der Neuen Züricher Zeitung berichtet wurde, wackelten nach Peter Wenks Schilderung mitunter die Scheiben der hölzernen Wände des Büros. Dabei vermittelte Johann Frey die Grundlagen der Immunologie, Peter Wenk ihm die Grundlagen der Erkenntnis, etwa den Unterschied von Prinzipien und Mechanismen.

Eine in Aussicht gestellte Karriere im Labor des pharmazeutischen Unternehmens befriedigte jedoch nicht seinen zoologischen Forscherdrang und widersprach seiner Überzeugung, dass man sich nur mit grundsätzlichen Fragen beschäftigen solle. "Beenden Sie ihren inneren Widerspruch oder dieser wird sie beenden," beschied ihm der Arzt! Die ersehnte Assistentenstelle am Tübinger Zoologischen Institut wurde ihm schließlich 1958 von seinem Doktorvater Hermann Weber angeboten. Dann der Schicksalsschlag: Noch in der Kündigungsfrist kam die Todesnachricht seines Mentors. Alle Zusagen waren hinfällig.

"Bewerben Sie sich bei Prof. Ludolph Fischer am neu gegründeten Institut für Tropenmedizin!" Dieser auf der Beerdigungsfeier gegebene Rat brachte ihn zu seiner neuen Wirkungsstätte, deren Geschick er über die folgenden 30 Jahre maßgebend prägte. Sein Forschungsthema wurden die Simuliiden, Kriebelmücken, Überträger der Flussblindheit in Afrika. Ihre Morphologie und Biologie erneuerten sein Interesse an der Entomologie, Epidemiologie und Ökologie. Bislang war die Zucht von Kriebelmücken im Labor – Voraussetzung für die Anwendung neuerer Methoden der Labortechnik – niemandem geglückt, denn die Larven und Puppen entwickeln sich nur in schnellfließenden Gewässern, erfordern also einen künstlichen Bach und geeignete Wirte für die Blutmahlzeit der weiblichen Imagines. Erst nachdem zweimal das unter seinem Labor gelegene Zimmer des Institutschefs unter Wasser gesetzt wurde, bekam er einen für die Nassarbeit besser geeigneten Raum zugewiesen, im ehemaligen Weinkeller des Kanzlerhauses in der Wilhelmstrasse 15.

Mit seiner ständig wachsenden Arbeitsgruppe gelang es ihm, den gesamten Lebenszyklus, das heißt die Aufzucht der Larven und Puppen in einer Fließrinne, die Kopulation der Imagines in einem nach ihm benannten Schlüpfkäfig sowie die Blutmahlzeit am Kaninchenohr, später an künstlichen Membranen, zu optimieren. Trotzdem ist es bis heute nicht geglückt, eine beständige Laborzucht einer blutsaugenden Kriebelmücke zu etablieren. Deshalb muss sich die entomologische Feldarbeit auf die Sommermonate beschränken. Hinsichtlich der Wirts-Parasit-Beziehung wurden zwei experimentelle Tiermodelle für Nagerfilarien etabliert.

In den 30 Jahren seiner wissenschaftlichen Tätigkeit am Tropeninstitut in Tübingen von 1959 bis 1989 widmete er sich der Modulation der Immunantwort im Verlauf einer Filariose, der Beschreibung des lymphatischen Systems in der Baumwollratte, der Freilandbiologie von Simuliiden im Oberrheintal und Burkina Faso und der Erfolgskontrolle der Vektorbekämpfung.

Zurückgreifend auf Erfahrungen bei der Transplantation von Kontaktekzemen erkannte er die Bedeutung des regionalen Lymphknotens bei der Invasion und Entwicklung der metazyklischen Stadien bei vektorübertragenen Parasitosen. Erst vor wenigen Jahren wurde dies auch bei den Plasmodien erkannt.

Der Umzug in die Wilhelmstrasse 27 (ehemaliges Institut für Pharmakologie) schuf endlich den ersehnten Platz für die Abteilungen Entomologie, Helminthologie, Malakologie und Immunologie sowie Tierräume für Filarienmodelle und Haltung der Überträger – Voraussetzungen für eine erfolgreiche Forschung, heute jedoch kaum mehr mit den Regelungen des Tierschutzes zu vereinbaren. Das ehemalige Direktorenhaus der Alten Chemie bot Platz für die Ambulanz, Bibliothek und medizinische Forschung. 

Derweil war im Zuge der Entkolonialisierung Afrikas das Bestreben gewachsen, den betroffenen Ländern bei der Bekämpfung der Tropenkrankheiten Hilfe zu leisten. Das Onchozerkosebekämpfungsprogramm der WHO hatte sich das Ziel gesetzt, die Übertragung der Flussblindheit durch Bekämpfung der Überträgermücken zu unterbinden. Dazu musste jedoch erst die Biologie der Mücken und Nematoden sowie die Epidemiologie der Übertragung quantitativ erforscht werden. Während seiner Forschungsaufenthalte in Tanzania, Burkina Faso und Kamerun erkannte Peter Wenk die Notwendigkeit größerer und langzeitigerer Feldstudien, die von seinen Mitarbeitern weiterentwickelt wurden: Jörg Grunewald beschäftigte sich in Tansania mit der Biologie der Larvenstadien der der Simuliiden-Überträgermücken, Hartwig Schulz-Key in Liberia und Togo mit der Reproduktionsbiologie der Onchozerken und der Wirkung von Ivermectin, das heute in allen Endemiegebieten erfolgreich zur Massenbehandlung eingesetzt wird; Alfons Renz forscht in Kamerun zur Epidemiologie von Mensch- und Tierfilarien; Peter Soboslay in Togo über die Immunologie und Bekämpfung der Onchozerkose und Wolfgang Hoffmann konnte in den Nagerlabormodellen die immunmodulatorischen Tricks der Filarien erkunden, die zur Regulation der Wurmlast dienen.

Als jedoch nach der Emeritierung Professors Knüttgens (1980) der Lehrstuhl für Tropenmedizin vakant wurde und lange kein Nachfolger gefunden werden konnte, war es allein seinem Einsatz und den erfolgreichen Forschungsprojekten seiner Mitarbeiter zu verdanken, dass das Institut nicht aufgelöst wurde. Der heutige Ruhm der Tübinger Tropenmedizin bestätigt glänzend seine damalige Weitsicht. 

Seine Lehrtätigkeit als Professor für medizinische Parasitologie (ab 1971) begeisterte Generationen von Studenten. Fast alle Tübinger Biologen profitierten von den Einführungs- und Fortgeschrittenenkursen. Einen Büffel in einem Fleischbrühwürfel zu konzentrieren, sei die Aufgabe der Lehre. Eine Empfehlung aus Karl Jaspers „Die Idee der Universität“ habe er immer beherzigt: Die Ausnahme muss bei allen Regelungen immer noch möglich bleiben.

Die bei der Lehre gewonnen Erfahrungen sind im Lehrbuch über die Biologie der Parasiten mit über hundert von ihm selbst entworfenen Abbildungen zusammengefasst. Diese meisterhaften Tuschezeichnungen, deren scharfer Kontrast eine Reduktion aufs Wesentliche erfordert, spiegeln seine Haltung, die im Urteil ebenso klar wie scharf sein konnte. Anders die leuchtend fließenden Farben seiner meist auf Reisen entstandenen Aquarelle, die seine Freude an Natur und Menschen, seinen tiefsinnigen Humor erkennen lassen. Fördern und Fordern gehörten für ihn zusammen. Sein unerschöpfliches Wissen und seine Erfahrung, als Mensch und Wissenschaftler, teilte er gern mit allen – vielen hat er bei der Wahl des Berufs und schweren Entscheidungen den richtigen Rat gegeben. 

Mit Vehemenz verwies er auf den Unterschied zwischen bakteriellen und viralen Infektionen im Gegensatz zu parasitischen Infestationen: Ihre Überlebensstrategie folgt grundsätzlich anderen Prinzipien, was sich in der Praxis darin äußert, dass es kaum gelingt, erfolgreich und nachhaltig gegen Parasiten zu vakzinieren. 

Die Entwicklung besserer Diagnostik, das Testen neuer Therapien oder die Suche nach Vakzinen – diese offensichtlichen Obliegenheiten einer Tropenmedizin waren ihm als Biologen nicht genug: Statt utilitaristischen Zielen zu dienen, widmete er sich den grundlegenden Fragen. Verstehen müsse man, wie Parasitismus funktioniert, wie die Biologie der beteiligten Wirte, Überträger und Parasiten ineinandergreifen. Deshalb beschäftigte ihn in den späteren Jahren speziell die Frage, welche Rolle Parasiten in der Ökologie und Evolution spielen. Die Symbiose der Beteiligten sollte im Idealfall eine Partnerschaft zum gegenseitigen Nutzen sein – wobei der Nutzen für die Wirte in der beschleunigten Evolution sowie ökologisch in der effizienteren Nutzung der Ressourcen eines Biotops liegen könnte. 

Leider haben Parasiten kaum fossile Spuren hinterlassen. So dass über ihre Rolle in der Evolution nur spekuliert werden kann. Dennoch liegt es nahe, dass Pathogene und Parasiten ein Zuviel und ein Zuwenig der Populationsdichte ihrer spezifischen Wirte erfolgreich steuern und so dabei helfen, die Fatalitätsgrenzen einer Überbevölkerung (Zerstörung des Biotops) oder ihres Aussterbens (zu geringe Populationsgröße, zu wenig Nachkommen) zu verhindern. 

Für die Biologie des Parasitismus muss deshalb die Angriff-Abwehrhypothese aufgegeben werden, weil sie der Darwin’schen Evolutionstheorie widerspricht und ein Wettrüsten ökologisch instabil und ökonomisch verschwenderisch wäre. Nur positive Eigenschaften bewähren sich in der Evolution. Vielmehr gilt für die Biologie des Parasitismus das „symbiontische Versicherungsprinzip“. Diese Erkenntnisse finden sich 2003 im Lehrbuch „Biologie der Humanparasiten“.

Seine Arbeiten fanden Anerkennung in der Ehrenmitgliedschaft der britischen Society for Parasitology (1988), der Deutschen Gesellschaft für Parasitologie (2016) und als Herausgeber der Advances of Parasitology.

Am 6. Oktober verstarb Peter Wenk im Alter von 99 Jahren an den Folgen eines Unfalls, neun Tage nach dem Tod seiner Frau, die er zuletzt über sechs Jahre liebevoll gepflegt hatte.