Das Collegium musicum und das Musikwissenschaftliche Institut gedenken in Trauer und mit respektvollem Dank Professor Dr. Wilfried Fischer, der am 11. April 2023 im Alter von 84 Jahren verstarb.
Von 1966 bis 1972 leitete Fischer das Collegium musicum der Universität, und seit 1970 war er Tübingens achter Universitätsmusikdirektor, damit Vorgänger des jüngst ebenfalls verstorbenen Alexander Šumski. Mit dem Ruhestand von Carl Leonhardt 1952 war die Universitätsmusikdirektorenstelle – bisher in Personalunion für die praktische Musikpflege und die Musikgeschichte zuständig – in einen rein musikwissenschaftlichen Lehrstuhl umgewandelt worden, den Walter Gerstenberg übernahm. Das Collegium musicum vocale und instrumentale übernahmen einstweilen die Institutsassistenten Ulrich Siegele und Arnold Feil. Seit 1966 wirkte Fischer als Assistent am Tübinger Musikwissenschaftlichen Institut, schon damals mit der ausdrücklichen Verpflichtung neben den propädeutischen Übungen (Allgemeine Musiklehre, Instrumentenkunde, Satzlehre, Partiturspiel) die Leitung der Collegia musica zu übernehmen. 1970 entschloss sich der Senat, die Position des Universitätsmusikdirektors neu zu beleben und setzte Wilfried Fischer in Amt und Titel ein.
Fischer, geboren 1938 in Kiel, war für diese Aufgaben bestens gerüstet. Er hatte in Hamburg Schulmusik und Dirigieren sowie Musikwissenschaft und Germanistik studiert. Bei Georg von Dadelsen war er mit der Arbeit Möglichkeiten und Grenzen der Rekonstruktion verschollener Instrumentalkonzerte Johann Sebastian Bachs promoviert worden. Dirigiererfahrungen sammelte er als Assistent des legendären Direktors der Musikakademie an der Universität Jürgen Jürgens und als Leiter des Akademischen Kammerorchesters.
Auch wenn Fischer nur wenige Jahre als Universitätsmusikdirektor wirkte, fällt die Liste der von ihm in Tübingen einstudierten großformalen Werke beeindruckend aus: Antonio Vivaldis „Magnificat“, Carl Heinrich Grauns „Te deum“ oder Jospeh Haydns „Jahreszeiten“, vielfach die Tübinger Institutshausgötter Bach und Mozart, dazu Modernes von Zoltan Kodály, Arnold Schönberg, Hans Werner Henze und Luigi Dallapiccola oder auch Raritäten wie Beethovens „Chorfantasie c-Moll op. 80“ (die jüngst bei der Rektoratsübergabe mit Michael Dan am Klavier erneut in Tübingen zur Aufführung kam). Mit Fischers Wirken verbindet sich zudem eine Novität: Erstmals nahm das Tübinger Collegium musicum Langspielplatten auf: Carl Philipp Emanuel Bachs „Auferstehung und Himmelfahrt Jesu“ (als Erstaufnahme) und Wolfgang Amadeus Mozarts „Davidde penitente“. Die beiden Klangkörper des Collegium musicum, Chor und Orchester, traten daneben eigenständig in Erscheinung, etwa bei der musikalischen Umrahmung von Universitätsveranstaltungen oder in Kirchenkonzerten.
1972 verließ Wilfried Fischer Tübingen. Er wirkte als Professor für Musikerziehung in Flensburg, Köln und zuletzt an der Universität Paderborn. Im Ruhestand zog Fischer zurück an den Fuß der Schwäbischen Alb. Er lebte in Mössingen und war weiterhin auch als Chorleiter aktiv. Auch am Tübinger Institut konnte man ihn gelegentlich noch erleben, so im Rahmen eines Gesprächskonzertes mit drei Universitätsmusikdirektoren im Rahmen der Ringvorlesung „Musik- und Kunstpraxis an Universitäten“ (2017) und zuletzt in einem Vortrag bei der Tagung „Bach bearbeitet“ zum Bachfest 2018.
Collegium musicum und Musikwissenschaftliches Institut werden das Andenken des Verstorbenen bewahren und ihm im kommenden Jahr zu seinem Todestag ein Gedenken ausrichten.