Newsletter Uni Tübingen aktuell Nr. 4/2023: Uni intern
„Glücksfall für die Universität“: Dr. Annette Mauch übernimmt die Leitung der Psychosozialen Beratungsstelle
Karla Polen-Beer geht nach 29 Jahren in den Ruhestand
Vor 29 Jahren kam Karla Polen-Beer an die Universität und baute die Psychosoziale Beratungsstelle für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Universität auf. Jetzt geht sie zum Jahresende in den Ruhestand. Ihre Nachfolgerin steht bereits fest: Dr. Annette Mauch arbeitet seit rund fünf Jahren in der Beratungsstelle mit.
„Meine Arbeit war in all den Jahren äußerst erfüllend und die vielen vertrauensvollen Begegnungen ein wertvolles Geschenk für mich - die Beratungsstelle war ein bisschen ‚mein Baby‘. Ich bin sehr dankbar dafür, diese Aufgabe nun an Dr. Annette Mauch, weitergeben zu dürfen. Sie ist genau die Nachfolgerin, die ich mir für die Beratungsstelle und für die Menschen an der Universität wünsche. Frau Dr. Mauch bringt nicht nur das notwendige Fachwissen mit, sondern ist ein Mensch, der viel Wärme ausstrahlt, Geduld hat und zuhören kann. Ein echter Glücksfall – für mich und auch für die Universität“, sagt Polen-Beer.
Karla Polen-Beer ist Diplom-Sozialarbeiterin. Nach ihrem Studium arbeitete sie mehrere Jahre mit wohnungslosen Menschen. Berufsbegleitend absolvierte sie eine verhaltenstherapeutische Zusatzausbildung. Das half ihr, als sie nach sieben Jahren zu Siemens wechselte und dort die Sozialberatung für Beschäftigte aufbaute. Rückblickend sagt sie: „Die Zeit in der freien Wirtschaft war gewissermaßen die Vorbereitung auf meine jetzige Tätigkeit an der Universität Tübingen.“ Hier startete sie im Oktober 1994 mit einer 50%-Stelle. Im Laufe der Jahre wurde ihre Stelle dann aufgrund der großen Nachfrage nach Beratung aufgestockt, erst auf 75 und schließlich auf 100 Prozent.
Eine nicht mehr wegzudenkende Institution
Zunächst war das Büro der Beratungsstelle in der Alten Chirurgie, die 1994 kurz vor dem Umbau zur Neuen Frauenklinik fast leer stand: riesige Flure, fast keine Menschen und die Beratungsstelle war noch kaum bekannt…
Auch aus anderen Gründen war der Anfang nicht leicht, sagt Polen-Beer: „Die Menschen hatten damals noch große Hemmungen, zur Beratungsstelle zu gehen, denn die neue Anlaufstelle für die Beschäftigten der Universität wurde häufig mit Sucht in Verbindung gebracht. Wenn ich irgendwo hinkam, haben mich an den Instituten damals sofort alle misstrauisch beäugt, nach dem Motto: Wer hat jetzt hier ein Problem? – All‘ das hat sich im Laufe der Jahre gewandelt und die Beratungsstelle ist eine an der Universität nicht mehr wegzudenkende, fest verankerte Institution geworden.“
In den knapp 30 Jahren folgten mehrere Umzüge, bevor die Beratungsstelle ihre jetzigen Räumlichkeiten in der Wilhelmstraße 22 beziehen konnte.
„Unsere Klientel braucht Diskretion sowie Vertraulichkeit und muss sich absolut darauf verlassen können, dass die Beratungsstelle ein geschützter Raum für sie ist und bleibt. Vor allem sollten sich Menschen, die die Beratungsstelle aufsuchen, dort nicht begegnen. Auch sind schalldichte Türen und Wände ein Muss, für unsere Arbeit. Die Universität ist bei der Gestaltung der Räumlichkeiten auf all diese Bedürfnisse eingegangen und meine Schweigepflicht wurde niemals in Frage gestellt“, ist Polen-Beer dankbar.
Ihre ‚Klientel‘, das waren anfangs fast ausschließlich Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus dem wissenschaftsunterstützenden Dienst, ohne Leitungsfunktion. Sie hatten in der Regel Probleme mit ihrer Arbeitssituation oder den Arbeitsbedingungen. „Heute sind 70% der Menschen, die zu uns kommen, Beschäftigte mit Personalverantwortung und Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler“, sagt die scheidende Leiterin der Beratungsstelle.
Umstellung auf Videoberatungen während Corona
Und wie hat sich Corona auf ihre Arbeit ausgewirkt? – „Als Corona ausgebrochen ist, hat sich zunächst fast niemand mehr in der Beratungsstelle gemeldet. Allerdings ging es dann nach einer kurzen Zeit des Innehaltens, umso intensiver mit Videoberatungen weiter. Das war anfangs für die Beratungssituation eine Herausforderung, aber für die Terminierung eine Erleichterung. Insbesondere haben sich während Corona die Problemfelder verändert, die an die Beratungsstelle herangetragen wurden. Es gab während dieser Zeit deutlich weniger Anfragen zur Schlichtung von Unebenheiten am Arbeitsplatz, dagegen haben Anfragen bei psychischen Problemen, Schwierigkeiten innerhalb der Familie und Suchtmittelmissbrauch zugenommen “, so Karla Polen-Beer.
Im Laufe der vergangenen Jahrzehnte hat Karla Polen-Beer häufig Teams begleitet, mit dem Ziel, die Interaktion am Arbeitsplatz zu verbessern und ein sachliches Miteinander zu unterstützen: „In solchen Fällen führe ich meistens mit allen Beteiligten Einzelgespräche, um den Betroffenen im ersten Schritt, die Möglichkeit zu geben ungefiltert über Ihre Empfindungen zu sprechen. Im zweiten Schritt wird dann das Erlebte reflektiert und versachlicht. Das ist aufwändig – aber letztendlich zielführend“, sagt sie.
Zuletzt hatte Karla Polen-Beer mit gesundheitlichen Problemen zu kämpfen, weswegen sie etwas früher als geplant in den Ruhestand geht. Langweilig wird es ihr dabei aber auf keinen Fall werden. Sie hat vor, Klarinette spielen zu lernen. Auch will sie die lustigen Erlebnisse, die sie mit ihrer Enkeltochter hat, als kleine Geschichten festhalten und sie freut sich darauf fröhlich-bunte Pappmaché Kobolde mit ihrer Enkelin zu gestalten. „Ab Januar werde ich hauptberuflich Oma sein. Meine Freundinnen sagen alle, das sei der beste Job der Erde. Darauf freue ich mich sehr“, strahlt Karla Polen-Beer.
Nachfolgerin Annette Mauch seit 2017 in der Psychosozialen Beratungsstelle
Ihre Nachfolgerin Dr. Annette Mauch ist Sozialwissenschaftlerin, wurde im Bereich der Erwachsenenbildung promoviert und bringt eine systemische Beratungsausbildung mit. An der Universität Tübingen und auch in der Psychosozialen Beratungsstelle ist sie keine Unbekannte: Beim Career Service war sie knapp zehn Jahre verantwortlich für Coaching und Beratung von Doktorand:innen. Zuletzt hat sie im Gleichstellungsbüro das Mentoring-Programm für Wissenschaftlerinnen mit aufgebaut. Außerhalb der Universität bringt sie Erfahrung in der Mitarbeiter- und Führungskräfteberatung in einem industriellen Betrieb mit sowie in der Hospizarbeit, in der sie ehrenamtlich Sterbende und deren Angehörige begleitet.
Zur Psychosozialen Beratungsstelle kam Annette Mauch 2017, zunächst mit wenigen Stunden – um Karla Polen-Beer bei der Beratung englischsprachiger Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern zu unterstützen. Denn die Nachfrage nach einem solchen Angebot ist in den letzten Jahren spürbar gestiegen, nicht zuletzt aufgrund der Internationalisierungsbemühungen der Universität. Mauch sagte Polen-Beer gerne zu, weil sie die Begleitung von Menschen bei ihrer Entwicklung für eine sehr wichtige Aufgabe hält.
Selbstverständnis als stabilisierende Brücke in andere Beratungsangebote
Die Bedarfe in der Psychosozialen Beratungsstelle sind individuell sehr unterschiedlich, spricht Mauch aus Erfahrung: „Der Großteil der Ratsuchenden nimmt in der Regel drei bis fünf Gesprächstermine wahr. Es gibt auch Menschen, die wir über ein halbes Jahr und länger begleiten oder an Fachpraxen vermitteln. Wir verstehen uns selbstverständlich als stabilisierende Brücke bis Ratsuchende in anderen Angeboten unterkommen. Menschen, die sich an uns wenden, erhalten stets zeitnah eine Beratung.“ Dieses interne Angebot der Universität ist ein unverzichtbarer Service geworden, den die Mitarbeiter:innen kostenfrei und anonym nutzen können.
Die Thematik Mental Health erfährt in den letzten Jahren mehr und mehr an Beachtung. Ein neues Projekt im Bereich Mental Health hat die Personalentwicklung – auch in Kooperation mit der Beratungsstelle – aufgelegt: Mental Health First Aid, das bereits weltweit an mehreren hundert Universitäten durchgeführt wird. Hier haben Mitarbeiter:innen der Universität die Möglichkeit sich in einem zweitägigen Kurs zu Ersthelfern für psychische Gesundheit analog dem Ersthelfer bei körperlichen Notfällen ausbilden zu lassen.
In der Beratung stehen berufliche Themen wie Mobbing, Über- oder Unterforderung am Arbeitsplatz, Burnout, Stress, Konflikte zwischen Vorgesetzten oder auch innerhalb des Teams im Fokus, sie machen gut zwei Drittel aus. Die übrigen 30 Prozent betreffen Themen aus dem Privatleben wie Trauer, Tod eines nahestehenden Menschen, psychische Erkrankungen, Trennung, Aufgaben in der Begleitung von Kindern oder Betreuung von alten oder kranken Familienmitgliedern.
Beratung beruht auf Freiwilligkeit und Vertraulichkeit
„Auch Führungskräfte kommen zu uns. Da geht es häufig um den Umgang mit als schwierig erlebten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Nicht selten suchen Führungskräfte Klarheit über den eigenen Führungsstil oder wollen diesen optimieren. Ganz klar ist: die Führungskräfte, die zu uns kommen, kommen freiwillig und wollen etwas verändern. Das ist ein wesentlicher Punkt: Unsere Arbeit beruht auf Freiwilligkeit und Vertraulichkeit, und wir unterliegen der Schweigepflicht“, sagt Annette Mauch.
Bei den vielen persönlichen Problemen, die in der Beratungsstelle aufschlagen – wie schafft es Annette Mauch, dass sie die Fälle nicht zu lange beschäftigen?
„Es ist für mich sehr wichtig, dass ich Supervision habe. Dort kann ich meine Arbeit reflektieren und an Lösungsansätzen arbeiten. Yoga zu praktizieren und Bewegung in der Natur sind meine Kraftquellen genauso wie die Zeit mit meiner Familie, meinem Mann, meinen Kindern und meinem Freundeskreis. Denn die Work-Life-Balance, an der ich häufig mit den Klientinnen und Klienten arbeite, ist natürlich auch für mich elementar“, betont Mauch.
Welche Vorstellung hat Annette Mauch für die Zukunft der Beratungsstelle? - „Ich stelle mir die Zukunft der Beratungsstelle lebendig vor. Ich glaube, es werden nach wie vor viele Menschen diesen Raum hier nutzen und ich glaube, er wird auch vielen guttun.“
Maximilian von Platen