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Newsletter Uni Tübingen aktuell Nr. 2/2024: Leute

Vielfach ausgezeichneter Slavist und Tschechow-Experte, der in der Ost-, West- und Südslavistik zu Hause war

Zum Tode von Professor Dr. Prof. h.c. Rolf-Dieter Kluge ein Nachruf von Tilman Berger

Am 13. März ist der Slavist und Literaturwissenschaftler Professor Dr. Prof. h.c. Rolf-Dieter Kluge in Tübingen gestorben. Er hatte von 1983 bis 2002 den Lehrstuhl für Slavische Literaturwissenschaft an der Universität Tübingen an der Neuphilologischen Fakultät inne und hat das Fach in dieser Zeit in seiner ganzen Breite vertreten. Nach seiner Entpflichtung war er ab 2002 noch zehn Jahre als Professor für russische Literatur und Komparatistik an der Universität Warschau tätig, und blieb bis in die letzten Jahre aktiv; sein letztes Buch, eine Monographie über Dostojewski, erschien 2021.

Rolf-Dieter Kluge wurde 1937 in Pirna an der Elbe geboren und kam 1952 mit seiner Familie nach Westdeutschland. Nach dem Abitur studierte er Germanistik, Philosophie, Geographie und Russisch, zunächst in Mainz und dann an der FU Berlin, wo er 1961 das Erste Staatsexamen ablegte. 1965 promovierte er in Mainz zu dem russischen Symbolisten Aleksandr Blok, 1975 habilitierte er sich, ebenfalls in Mainz mit der Arbeit Vom kritischen zum sozialistischen Realismus. Ab 1975 war er Professor in Freiburg und wurde von dort 1982 nach Tübingen berufen. 

Auch wenn sich die meisten seiner Publikationen mit der russischen Literatur beschäftigten, verstand sich Rolf-Dieter Kluge ganz bewusst als Slavist. So sprach er, was für die Slavisten seiner Generation noch nicht selbstverständlich war, mehrere slavische Sprachen: neben Russisch auch noch Polnisch und Serbisch. In der Lehre war eine komparatistische Vorgehensweise für ihn selbstverständlich, auch über die slavischen Literaturen hinaus. Sehr wichtig war ihm die Etablierung der Südslavistik in Tübingen, was im Jahr 1987 dann auch gelang und was angesichts der ständig von Kürzungen betroffenen Slavistik eine große Leistung war. 

Neben Forschung und Lehre war Kluge Öffentlichkeitsarbeit und das, was man heute Wissenschaftskommunikation nennt, ein großes Anliegen. Fast jedes Semester hat er im Rahmen des Studium Generale eine Ringvorlesung organisiert, zu vielfältigen Themen, von „Tausend Jahre russische Kirche“ über Puschkin oder Mickiewicz bis hin zu „Aspekten der Science-Fiction in Ost und West“. International beachtet wurde eine Reihe von großen Tagungen, die er organisierte, darunter eine Tagung zu dem slovenischen Reformator Primus Truber (1986), eine Tagung zum Thema „Dostojewski und Deutschland“ (2001), und drei große Tagungen zu Anton Tschechow (1985, 1994, 2004). Mit Anton Tschechow und seinem Werk hat sich Kluge auch sonst besonders intensiv beschäftigt. Nicht zufällig gehörte er im Jahr 2009 zu den Gründern der Deutschen Tschechow-Gesellschaft, deren Vorsitzender er bis 2019 war.

Auch die akademische Selbstverwaltung war ihm sehr wichtig. Schon in Freiburg fungierte er als Prodekan, in Tübingen war er 1989/90 Dekan der damaligen Neuphilologischen Fakultät, 1994/95 Vizepräsident der Universität und von 1997 bis 99 Vorsitzender des Großen Senats. Und in der ersten Hälfte der 1990er-Jahre wirkte er als Berater bei der Neuaufstellung der Slavistik an den Universitäten Jena, Dresden und Leipzig mit.

Schließlich hat Rolf-Dieter Kluge auch wichtige Beiträge zur Internationalisierung der Universität Tübingen geleistet. Die Partnerschaft mit der Universität Warschau war schon vor seiner Zeit vereinbart worden, aber er hat sie tatkräftig ausgebaut. Unter seiner Ägide wurde 1991 ein Partnerschaftsvertrag mit der Moskauer Lomonossow-Universität abgeschlossen, ebenso Partnerschaften mit Ljubljana und Prag. 

Für seine Verdienste um die Zusammenarbeit mit Ost- und Südosteuropa wurde er auch mehrfach geehrt. So wurde er 1994 zum korrespondierenden Mitglied der Serbischen Akademie der Wissenschaften gewählt, 1995 erhielt er den Titel eines Professors h. c. der Lomonossow-Universität und 2002 die Alexander-Puschkin-Medaille der Russischen Föderation. Für sein Lebenswerk als kultureller Vermittler zwischen Ost und West wurde er 1998 mit dem Bundesverdienstkreuz Erster Klasse ausgezeichnet. Leider musste er in seinen letzten Lebensjahren noch erleben, wie die Zusammenarbeit mit Russland, der er so viele Energien gewidmet hatte, durch den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine schwer beschädigt und fast unmöglich gemacht wurde.