Uni-Tübingen

G02: Geistliche Frauengemeinschaften im 18. Jahrhundert. Ordnungsvorstellungen und Bedrohungskommunikation in Aufklärung und Säkularisation

Projektmitarbeiter*innen:
Niklas Goldberg (bis 2020)
Doktorand
Dr. Agnes Schormann
Projektbearbeiterin
Sophie Prasse, M.A. (bis 2022)
Doktorandin

Fachgebiet: Frühneuzeitliche Geschichte

Das Teilprojekt G02 hatte in der zweiten Förderperiode Ordnungsvorstellungen und Bedrohungskommunikation in geistlichen Frauengemeinschaften während der Ordensreformen des 15. Jahrhunderts und in der Reformation zum Thema. Dabei wurden exemplarisch die württembergischen Dominikanerinnenklöster (TU1) sowie süddeutsche Frauenstifte (TU2) bearbeitet und hinsichtlich ihrer Bedrohungsdiagnosen und Bewältigungspraxis miteinander verglichen. Es zeigte sich, dass die Dominikanerinnen ihre Klausur als Schutzraum nutzten, indem sie die Bedrohung buchstäblich außen vor zu halten und gleichzeitig im Innern des Klosters die Einheit zu wahren versuchten. Die Stiftsdamen dagegen, die nicht an die Klausur gebunden waren, ignorierten die Bedrohung zunächst weitgehend und versuchten, nach ihrer hergebrachten Lebensweise weiterzuleben. Im Angesicht der unmittelbar drohenden Auflösung ihrer Institutionen aktivierten sie dann zum einen ihre adligen Netzwerke und loteten zum anderen ihre eigenen Handlungsspielräume aus. Eine der untersuchten Stiftsgemeinschaften wandelte sich schließlich zu einem evangelischen Damenstift um, während sich die Insassen der zweiten einer Auflösung durch Flucht entzogen.
Im Folgeprojekt sollen vergleichbare Vorgänge am Ende des 18. Jahrhunderts untersucht werden. Da es sich aus Sicht der geistlichen Frauengemeinschaften bei Reformation und Säkularisation um sehr ähnliche Bedrohungen in allerdings recht unterschiedlichen politischen, sozialen und mentalen Kontexten handelt, lässt sich die diachrone Interdependenz bedrohter Ordnungen an diesem Beispiel gut herausarbeiten. Zu fragen ist dabei unter anderem nach der ‚Sedimentierung‘ der älteren Bedrohung im kollektiven Gedächtnis der Gemeinschaften, der Argumentation mit historischen Erfahrungen und dem Rückgriff auf frühere Bewältigungspraktiken.
Geistliche Frauengemeinschaften erreichte seit der Mitte des 18. Jahrhunderts vermehrt die grundsätzliche Infragestellung kontemplativ-geistlichen Lebens, worauf sich vor allem zwei Reaktionen abzuzeichnen scheinen: Eine verstärkte Hinwendung zu einer Art ‚Hochleistungsfrömmigkeit‘, die in einer bis an die Grenze der physischen und psychischen Belastbarkeit gehenden Steigerung barocker Frömmigkeitsformen zum Ausdruck kommt, sowie zweitens eine Verbreitung aufgeklärter Gedanken, die die eigene Lebensweise in Frage stellten und stattdessen nach ‚nützlichen‘ Alternativen (Schulunterricht, Krankenpflege usw.) suchten. Die Bedrohungskommunikation in den Gemeinschaften steigerte sich dabei deutlich erkennbar in vier Stufen: erstens die Auseinandersetzung mit der allgemeinen Klosterfeindlichkeit der Umgebung seit der Mitte des 18. Jahrhunderts; zweitens die Verarbeitung der zum Teil in unmittelbarer Nachbarschaft erlebten Aufhebung von Klöstern in den josephinischen Reformen 1782 und drittens die Beobachtung der Säkularisation von Klöstern in den linksrheinischen, von der Französischen Revolution betroffenen Gebieten des Elsass und der Pfalz, deren vertriebene Insassen sich zum Teil in die südwestdeutschen Klöster flüchteten. Viertens erfolgte schließlich mit dem Reichsdeputationshauptschluss 1803 und seinen Folgen die Säkularisation der allermeisten Frauenklöster, wobei viele der größeren Gemeinschaften in einer irgendwie gearteten Quasi-Klostergemeinschaft weiterleben durften, bis die letzte der 1803 schon im Kloster befindlichen Nonnen gestorben war. In zwei Teiluntersuchungen, die sich vergleichend zum einen mit den stark von Ordensstrukturen und einer adligen Klientel geprägten Zisterzienserinnenklöstern, zum andern mit Augustinerchorfrauenstiften, die im Wesentlichen aus den umliegenden Städten beschickt und weniger in Ordensstrukturen eingebunden waren, beschäftigen, wird der Frage nachgegangen, wie die Frauengemeinschaften auf die wachsende Bedrohung sowie schließlich die Auflösung ihrer Klöster bzw. Stifte reagierten. Dabei ist nicht zuletzt auch nach den diachronen Interdependenzen mit der Zeit der Reformation zu fragen: Die ‚Sedimentierungen‘ alter Erfahrungen seit dem Mittelalter sind dafür ebenso zu untersuchen wie die konkurrierenden Ordnungen der Klöster, der Orden wie auch der weltlichen Gewalten, mit denen sich die Frauengemeinschaften um 1800 konfrontiert sahen.