Uni-Tübingen

Newsletter Uni Tübingen aktuell Nr. 4/2014: Studium und Lehre

Juniordozenturen: Innovative Lehrkonzepte und bessere Betreuung von Studienanfängern

Sechs Juniordozenten konzentrieren sich an der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät ganz auf die Lehre

„Die Ausschreibung der Juniordozenten an der Universität Tübingen hat mich damals überzeugt: eine ehrliche Ansage, dass die Juniordozenturen sich auf die Lehre konzentrieren sollen. Eine interessante Position, die es so ansonsten nirgendwo in Deutschland gibt. Deswegen bin ich nach Tübingen gekommen“, sagt Dr. Jakob Suckale, Juniordozent für Biochemie.

Seit Ende 2011 gibt es an der Universität Tübingen Juniordozenturen, insgesamt sechs an der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät (MNF) in den Fachbereichen Biochemie, Biologie, Chemie, Informatik, Mathematik und Physik sowie eine weitere an der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät. Sie sind auf fünf Jahre zeitlich befristet, die ersten vier Jahre davon werden über den Projektantrag „Erfolgreich studieren in Tübingen (ESIT)“ aus Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) finanziert, das letzte Jahr aus Mitteln der Universität.

An der MNF sind die Juniordozenturen ein wichtiges Instrument, um die Betreuung von Studienanfängerinnen und Studienanfängern zu verbessen. Dies geschieht unter anderem mit fachübergreifenden Propädeutika, fachspezifischen Einführungskursen, semesterbegleitenden Tutorien, neuen-Peer-Learning-Modulen sowie innovativen Lehrformen und -technologien.

Jakob Suckale studierte in Oxford Biochemie und promovierte anschließend am Max-Planck-Institut für Molekulare Zellbiologie und Genetik in Dresden. Ihm macht gute Lehre Spaß, er findet aber, dass ihr Stellenwert allgemein in Deutschland gegenüber der Forschung zu gering ist, denn “auch die guten Forscher, die heute erfolgreich Drittmittel einwerben, sind zunächst vor 10 bis 20 Jahren gut ausgebildet worden”, sagt er. Ganz bewusst hat Suckale sich daher – neben Angeboten aus Forschung und Industrie – für die Juniordozentur in Tübingen entschieden. Hier hat er den neuen Masterstudiengang Biochemie mit aufgebaut und kümmert sich als Juniordozent vor allem um die Masterstudierenden. Dazu gehören zu allererst umfassende Informations- und Beratungsangebote – in gedruckter Form, online und natürlich im persönlichen Gespräch. Er bietet beispielsweise auch eine fachspezifische Beratung zur Karriereplanung an. Ganz wichtig ist Suckale die Vermittlung von fachunabhängigen Schlüsselqualifikationen, so genannten soft skills. In einem Kurs übt er mit seinen Studierenden das wissenschaftliche Präsentieren, in einem anderen wird das wissenschaftliche Schreiben auf Englisch trainiert. Suckale hält außerdem im Wechsel mit den Kollegen des Fachbereichs auch spezielle Biochemie-Vorlesungen für Masterstudierende. Einen speziellen Tutorenkurs bietet er nicht an, aber die intensive Betreuung der Tutoren - auf eine Übungsgruppe mit durchschnittlich acht Studierenden kommt ein Tutor – liegt Suckale sehr am Herzen, mit regelmäßigen Vorbereitungstreffen und Nachbesprechungen.

Dr. Sebastian Slama kam 2003 für die Promotion von der ETH Zürich nach Tübingen, erhielt 2008 den Promotionspreis der Universität Tübingen für seine Dissertation. Ende 2011 wurde Slama auf die Stelle des Juniordozenten im Fachbereich Physik berufen. Gemeinsam mit den Juniordozenten aus den Fachbereichen Chemie, der Informatik und der Mathematik bietet er Propädeutika für die Studierenden der MNF im ersten und zweiten Fachsemester an – als freiwilliges Ergänzungsangebot zu den großen verpflichtenden und prüfungsrelevanten Einführungsvorlesungen für angehende Naturwissenschaftler. Slama unterrichtet Physik speziell für Studierende, die nicht Physik, sondern ein anderes naturwissenschaftliches Fach (Biologie, Biochemie, Chemie, Geowissenschaften, Pharmazie oder Naturwissenschaft und Technik) studieren. „In der Vergangenheit war beispielsweise Physik für viele Chemiker eine hohe Hürde wie auch umgekehrt Mathematik für Physiker. Die Durchfallquoten waren sehr hoch, es musste also etwas getan werden. Die von mir eingeführte ‚Physics hour’, hat sich zu einer echten Erfolgsgeschichte entwickelt“, berichtet Slama nicht ohne Stolz. „Es hat angefangen damit, dass ich die Studierenden eingeladen habe, um ihre Probleme nochmals zu diskutieren und sie zu unterstützen. Anfangs kamen pro Woche fünf Studierende in mein Büro, inzwischen füllen rund 200 Studierende pro Woche – bei rund 600-800 Studienanfängern in der MNF pro Semester - einen ganzen Hörsaal.“

In der Physics hour bietet Slama zunächst eine komprimierte Vorlesungswiederholung an, bei einem zweiten Termin werden gemeinsam Übungen gemacht. Kommunikation und Interaktion stehen dabei im Vordergrund, deswegen setzt Slama innovative Lehr- und Lernkonzepte ein. „Beim Konzept des ‚inverted classroom’ werden Vorlesung und Übung quasi vertauscht: die Studierenden nehmen zunächst zu Hause den Vorlesungsstoff – beispielweise mit Hilfe von Videos – selber durch, im Hörsaal werden anschließend gemeinsam Übungsaufgaben gerechnet und durchgesprochen. Dabei stelle ich kurze Aufgaben, für deren Lösung die Studierenden eine Minute Zeit haben. Dann biete ich mehrere Lösungsvorschläge an, die Studierenden stimmen anonym mit kleinen Abstimmungsgeräten – so genannten Klickern - ab, und das Ergebnis wird sofort für alle sichtbar eingeblendet. Anschließend diskutieren die Studierenden in Kleingruppen mit ihren Sitznachbarn die Lösungsvorschläge nochmals zwei bis drei Minuten, es folgt eine zweite Abstimmung.“

Die Erfahrung mit dieser Form der „peer instruction“, die Juniordozent Dr. Peter Sirsch erstmals im Fachbereich Chemie eingesetzt hat, zeigt große Lerneffekte: Die Ergebnisse der zweiten Abstimmung sind fast immer deutlich besser, das heißt eine signifikant größere Zahl an Studierenden stimmt für das richtige Ergebnis. Für den Einsatz des „inverted classroom“-Konzepts hat sich Sebastian Slama über das Hochschuldidaktikzentrum (HSZ) der Universität Tübingen selbst fortbilden lassen, auch diese Maßnahme wurde aus ESIT-Mitteln finanziert.

Slama setzt als erster Dozent an der Universität Tübingen gezielt auch ein Grafiktablet für seinen Unterricht ein. Vorteile gegenüber dem klassischen Tafelanschrieb: Der Dozent steht nicht mit dem Rücken zu seinen Studierenden, er kann Bilder, Grafiken oder Videos in seine Präsentation einbauen, er kann mit einem Klick jederzeit zu früheren „Tafeln“ zurückspringen. Und am Ende der Vorlesung kann er aus seinem Script per Knopfdruck eine pdf-Datei erstellen und diese seinen Studierenden über die Lernplattform Ilias sofort bereitstellen.

Das von ihm eigeführte Proseminar für Tutoren, konzipiert für die jährlich rund 15 Übungsgruppenleiter der Physik I- und Physik II-Vorlesungen im Fach Physik, hat Slama mittlerweile abgegeben. Etwas Zeit bleibt bei ihm noch für die Forschung: er hat eine eigene Arbeitsgruppe zur "Quantenoptik an Oberflächen".

Die Studierenden profitieren von den Juniordozenturen durch eine bessere Betreuung insbesondere zum Studienbeginn, denn die Juniordozenten kennen durch ihren eigenen Werdegang und ihre Erfahrung die Probleme in ihrem Bereich besonders gut. Auch die Universität Tübingen profitiert durch – bereits jetzt messbare – niedrigere Durchfallquoten und bessere Notendurchschnitte. Die Juniordozenten der MNF tauschen sich darüber hinaus regelmäßig über ihre Erfahrungen aus und unterstützen sich auf diesem Weg gegenseitig bei ihrem gemeinsamen Ziel: eine verbesserte Lehre. Und auch die Zusammenarbeit mit anderen Einrichtungen der Universität Tübingen, wie dem Hochschuldidaktikzentrum und dem Career Service, wird durch die Juniordozenturen gefördert.

Homepage Dr. Jakob Suckale
Homepage PD Dr. Sebastian Slama

Homepage "Erfolgreich Studieren in Tübingen" (ESIT)

Maximilian von Platen

Juniordozenten an der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät

Die Juniordozenturen sind W1-dotiert und stellen das Pendant zu den forschungsorientierten Juniorprofessuren. Die Besetzung erfolgt bei beiden durch ein reguläres Berufungsverfahren, der Juniordozent besitzt auch das Promotionsrecht, das Recht zur Diplomandenbetreuung sowie die Lehrbefugnis. Bei den Juniordozenturen sind daher 12 Semesterwochenstunden (SWS) für die Lehre vorgesehen, gegenüber nur vier bis sechs SWS bei den Juniorprofessuren. Die Juniordozenten sollen sich ohne den Druck, Drittmittel für Forschungsprojekte einwerben zu müssen, ganz gezielt auf eine Verbesserung der Lehre konzentrieren. Die Juniordozenturen sind in dieser Form spezifisch für die baden-württembergische Hochschullandschaft, sie wurden 2007 mit der Novelle des Landeshochschulgesetzes eingeführt. Unklar ist bislang noch, ob es zukünftig auch Lehrprofessuren geben wird oder wie es nach fünf Jahren für die Juniordozenten weitergehen soll. Einen tenure track wie bei einigen Juniorprofessuren gibt es bislang nicht.