Uni-Tübingen

Newsletter Uni Tübingen aktuell Nr. 1/2023: Leute

Langjähriger Direktor der Universitätsbibliothek in Zeiten des Wandels

Zum Tod von Dr. Berndt von Egidy ein Nachruf von Marianne Dörr

Am 13. November 2022 verstarb nach langer Krankheit im Alter von 84 Jahren Dr. Berndt von Egidy, Direktor der Universitätsbibliothek von 1991 bis 2003.

Der gebürtige Dresdner Berndt von Egidy hatte nach dem Studium der Geschichte und Anglistik in Bonn, Göttingen und Exeter sowie der Promotion im Fach Geschichte an der Universität Bonn das Bibliotheksreferendariat in Heidelberg absolviert und 1971 die bibliothekarische Staatsprüfung abgelegt.  Dass er gerne über den sprichwörtlichen Tellerrand hinausschaut, bewies er schon damals: Auf eigene Initiative arbeitete er gleich im Anschluss ein halbes Jahr als wissenschaftlicher Bibliothekar an der Staatsbibliothek Pretoria in Südafrika.

Zurückgekehrt war er zunächst wieder in Heidelberg tätig, bevor er 1973 an die neugegründete Gesamthochschulbibliothek Essen wechselte. In Essen erwarb er als Leiter des Dezernats „Koordinierung der Fachbibliotheken und des Bestandsaufbaus“ vielfältige berufliche Erfahrungen. Neben der organisatorischen Integration von kleinen und mittleren dezentralen Bibliotheken in die neue Zentralbibliothek gehörten ab 1974 auch die Bau- und Einrichtungsplanung für den Neubau und die Umzugsplanung und -durchführung zu seinen Aufgaben.

Das Interesse daran, Personal- und Organisationsfragen einer komplexen Bibliothek aktiv zu gestalten, gehörte sicher zu den Motiven für seine Bewerbung um die stellvertretende Direktorenstelle an der Universitätsbibliothek (UB) Tübingen im Jahr 1977. Aus einer ganzen Reihe von Bewerbern wurde Berndt von Egidy ausgewählt und zum 1. Juni 1978 nach Tübingen versetzt; die Ernennung zum Bibliotheksdirektor folgte im Oktober 1979.

Nachdem Richard Landwehrmeyer 1987 Generaldirektor der Berliner Staatsbibliothek geworden war, trat zunächst Joachim Felix Leonhard die Tübinger Leitungsstelle an.  Ein einschneidendes Ereignis dieser Jahre war die Asbest-Sanierung des Hauptgebäudes der UB, das komplett freigestellt werden musste – eine organisatorische Herausforderung sondergleichen.

1991 wurde Berndt von Egidy in Nachfolge von Herrn Leonhard, der die Leitung des Deutschen Rundfunkarchivs übernommen hatte, zum Leitenden Bibliotheksdirektor der Universität Tübingen bestellt.

Die 1990er-Jahre brachten vielfältige Aufgaben: Verbesserungen in der Zusammenarbeit und in der Erwerbungskoordination1 innerhalb des Tübinger Bibliothekssystems, der Abschluss des DFG-geförderten Projekts zur Altbestandskonversion, Ausbau und Migration der IT-Systeme, Veränderungen in den Tübinger Sondersammelgebieten etc.  Die wichtigste und die Bibliothek nachhaltig prägende Leistung war es aber, den Erweiterungsbau jenseits der Ammer auf die Prioritätenliste der universitär und politisch Verantwortlichen zu bringen.  Die Fertigstellung und die Eröffnung des Ammerbaus, der das Gefüge der Zentralbibliothek im Tal stark veränderte und der Entwicklungsmöglichkeiten eröffnete, die ohne diesen Erweiterungsbau undenkbar gewesen wären, konnte Berndt von Egidy 2002, im Jahr vor seiner Pensionierung, feiern – drei seiner Vorgänger waren zu diesem glücklichen Ereignis angereist.

Neben der Leitung der Tübinger Bibliothek engagierte sich Berndt von Egidy auch auf nationalem und internationalem bibliothekarischen Parkett:  Seit 1993 gehörte er dem Vorstand des Vereins Deutscher Bibliothekare (VDB) an, von 1995 bis 1997 amtierte er als Erster Vorsitzender. Und er wirkte im Auftrag der UNESCO als Berater und Organisator bei der Ausstattung und dem Umzug der neu errichteten Bibliothek von Alexandria2  in Ägypten aktiv mit.

Zu seinem Ruhestandseintritt überreichten ihm die Mitarbeiter der UB eine „Festplatte“3  der ganz besonderen Art, die heute noch einen spannenden Einblick in die Entwicklung der Universitätsbibliothek und des gesamten  Tübinger Bibliothekssystems unter seiner Leitung gibt. Seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern war Berndt von Egidy ein zugewandter Chef, der eine Kommunikation auf Augenhöhe praktizierte. Auch nach seiner Pensionierung nahm er gelegentlich noch an den Betriebsausflügen der UB teil und pflegte die Kontakte.

Mit dem Ruhestand gewann Herr von Egidy mehr Zeit für seine Hobbies, von denen hier nur die Rosenzucht und die fachkundige Möbelrestaurierung angeführt seien. Bereits vor seiner Tübinger Zeit, im Jahr 1987,  hatte der Historiker übrigens eine Geschichte seiner Adelsfamilie vorgelegt, die familiäre Traditionspflege war ihm nach Aussagen seiner Tochter lebenslang sehr wichtig.

Nach einem Schlaganfall musste Berndt von Egidy seine letzten Lebensjahre im Rollstuhl verbringen, zuletzt lebte er im Luise-Wetzel-Stift, wo er am Sonntag, den 13. November 2022 schließlich friedlich einschlief. Die Universitätsbibliothek Tübingen wird ihm ein ehrendes Andenken bewahren.

Fußnoten

1Egidy, Berndt von: Erwerbungspolitik und Erfolgskontrolle in einem universitären Bibliothekssystem In: Ressourcen nutzen für neue Aufgaben. - Frankfurt a. M., 1997. - S. 226-234. Signatur: 37 A 496
Egidy, Berndt von: Zusammenarbeit und Fachaufsicht im zweistufigen Bibliothekssystem am Beispiel der Universitätsbibliothek Tübingen In: Zwischen Kooperation und Weisungsrecht. - Berlin, 1990. - S. 28-45. Signatur: UB TÜ 00 

2Von der Entwicklung eines Königsprojekts. Die neue Bibliothek in Alexandria, in: Buch und Bibliothek, 54 (2002) 2, 99-103 (Signatur: Ke XIX 65 e)

3"Fest-Platte": Beiträge aus der Universitätsbibliothek Tübingen für Berndt von Egidy anläßlich seines Ausscheidens aus dem aktiven Bibliotheksdienst im Juli 2003 / herausgegeben von Bettina Fiand, Thomas Hilberer, Wilfried Lagler und Ulrich Schapka. Redaktion der Textbeiträge: Wilfried Lagler. Technische Unterstützung: Monika Hahn, Armin Rempfer. -Tübingen: Universitätsbibliothek Tübingen, 2003