Uni-Tübingen

Dr. Britta Bußmann

Kollegiatin/Post-Doc

Anschrift Büro:

Universität Mannheim

Seminar für deutsche Philologie
der Universität Mannheim
Germanistische Mediävistik
D-68131 Mannheim

E-mail:

bbussmanspam prevention@mail.uni-mannheim.de

Akademischer Werdegang

10/1998 – 02/2003 Studium der Deutschen Philologie, Neueren und Neuesten
Geschichte und Kunstgeschichte (M.A.)
Westfälische Wilhelms-Universität Münster
04/2003 – 01/2009 Promotion: „Albrechts Jüngerer Titurel als ekphrastischer Roman“
Westfälische Wilhelms-Universität Münster
10/2003 – 09/2005 Gasthörerin
Georg-August-Universität Göttingen
08/2006 – 04/2007 Forschungsaufenthalt an der Cornell University, Ithaca, NY (U.S.A), im Rahmen des Dissertationsprojekts, gefördert mit einem Doktorandenstipendium des DAAD

Berufliche Stationen

07/2000 – 06/2003 Studentische Volontärin am Westfälischen Institut für Regionalgeschichte, Münster (seit 03/2003 Werkvertrag zur Erstellung einer Bibliographie aller Veröffentlichungen des Instituts)
07/2003 – 07/2006 Wissenschaftliche Mitarbeiterin der Forschernachwuchsgruppe „Stimme – Zeichen – Schrift in Mittelalter und Früher Neuzeit“ des Zentrums für Mittelalter- und Frühneuzeitforschung an der Georg-August-Universität Göttingen
10/2004 – 09/2005 Lehrbeauftragte
Georg-August-Universität Göttingen, Deutsches Seminar
10/2009 – 03//2011 Lehraufträge an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster, der Universität Bremen und der Universität Hamburg
04/2011 - 06/2013 Post-Doc im Graduiertenkolleg 1662 „Religiöses Wissen“
Eberhard-Karls-Universität Tübingen

07/2013 – 03/2014

Koordinatorin des Ausstellungsprojekts des GrK 1662: „Nach den Sternen greifen. Vormoderne Astronomie und Astrologie zwischen Religion und Naturkunde“

seit 08/2014

Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Germanistische Mediävistik der Universität Mannheim (finanziert durch ein WOVEN-Stipendium für die Phase nach der Promotion)

Wissen über Maria. Wissenstransfer, Vorlagenbindung und Formkunst in den Marienliedern des Mönchs von Salzburg

In der Forschungsdiskussion zur Marienverehrung wird geradezu habituell die Diskrepanz zwischen der weltweiten Bedeutung des Kultes und der schmalen Quellenbasis herausgestellt, auf die er sich stützen kann. Das biblisch verbürgte Wissen über die Gottesmutter fixiert zwar wich­tige Eck­punkte der Verehrung (Marias Erwählung zur Mutter des Messias, die jungfräuliche Geburt), bildet aber gleichwohl nur den Kernbestand einer sich rapide etablierenden, stets neu von regio­na­len Interpretationen beeinflussten Wissenstradition. Diese Dynamik der religiösen Wissens­bildung führt dazu, dass es seit der Spätantike nicht ein statisches, überall gleiches Wissen, sondern mehrere einander im Detail durchaus wider­spre­chen­de Wissensbestände über Maria gibt. Zur Dis­po­si­tion steht damit allerdings nicht allein, welches Marienbild sich zu einer gegebenen Zeit an einem be­stimmten Ort entwickelt und welche Interessen dabei eine Rolle spielen. In den Blick geraten über­dies immer schon die Ver­fahrens­weisen, mit deren Hilfe dieses je spezifische Wissen etabliert und argu­mentativ abgesichert wird.

Das Projekt untersucht die Genese und Tradierung des Wissens über Maria beispielhaft anhand der in der altgermanistischen Forschung bislang nicht umfassend wahrgenommenen Marienlieder des sogenannten Mönchs von Salzburg. Der Dichter-Komponist war im späten 14. Jh. am Hof des Salzburger Erzbischofs Pilgrim II. tätig. Die ihm zugeschriebenen Lieder verweisen demnach auf eine Zeit, die zwar einerseits eine Hoch­phase der Marienfrömmigkeit markiert, in der diese exaltierte Verehrung der Jungfrau jedoch ande­rer­seits erster Kritik ausgesetzt ist in dem Bestreben, den christlichen Glauben wieder verstärkt auf seine eigentliche Zentralfigur, den Erlöser Jesus Christus, zu­rück­zuführen. Zu klären ist damit nicht nur, wie die Lieder sich innerhalb dieser Dis­kussion positionieren, d.h. welche Annahmen und Erwartungen sie an die Gottesmutter herantragen und welche heilsgeschichtliche Position sie ihr auf diese Weise zubilligen oder aberkennen. Der Untersuchung der literarischen Verfahren, die die Lieder nutzen, um ihren Standpunkt zu artikulieren, kommt vor diesem Hintergrund überdies ein neues Gewicht zu, da sie womöglich auch dazu dienen sollen, zeitgenössischer Kritik an der geäußerten Position abzuwehren.

Das Inte­resse für die literarische Verfasstheit der Lieder wird zusätzlich dadurch verstärkt, dass das Mönch-Corpus in seiner Gesamtheit formal auffällig ist: Der Mönch von Salzburg gilt als erster namentlich bekannter deutsch­sprachiger Dich­ter, der in großem Umfang die lateinische geistliche Lied­dichtung des Mit­tel­­alters rezipiert. Bei seinen 49 geist­lichen Lie­dern handelt es sich überwiegend um auf die Ori­gi­nalmelodien sangbare Über­set­zun­gen oder Kontrafakturen (d.h. Neutextierungen vorhande­ner Töne) von lateinischen Hym­nen und Se­quen­zen. Einige der Vorlagen sind wohl auch der Tra­dition der böhmi­schen Cantiones (Stro­phen­­­lieder) entlehnt. Gerade in seiner Breite stellt dieser Rekurs auf die lateinische Lyrik ein innovatives Element in der volkssprachlichen geistlichen Lieddichtung um 1400 dar, das der Mönch anscheinend bewusst ausstellt: Viele der regelrechten Translate sind sehr lateinnah (‚imitierend‘) gestaltet, lassen also (z.B. durch Lehnübertragungen) die ursprüngliche sprachliche Qualität des Ausgangstextes durchschimmern. Die intendierte Sangbarkeit impliziert zudem die Adaptation des Strophenbaus, den die Reprodukte in der Regel bis hin zu formalen Details (Auftaktregelung; Silbenzahl; Reimschema) repetieren. Zudem übernimmt der Mönch typische Schmuckelemente der lateinischen Liedkunst (wie etwa Abecedarium oder Akrostichon) auch für jene Liede, die er frei gedichtet und komponiert hat: Das rhetorische Prunkstück des Corpus, das Guldein Abc (G 1) (siehe Abb. 1), wird dadurch gleichsam ‚latinisiert‘, obwohl es offenbar ohne Rückgriff auf eine lateinische Vorlage entstanden ist. Die Abhängigkeit von der lateinischen Liedkunst ist bei den Marienliedern auf die Spitze getrieben. Denn nur in dieser inhalt­lich zusammen­ge­bun­­denen Gruppe finden sich neben regelrechen Übersetzungen zusätzlich Neu­textie­rungen (Kontrafakturen) la­­tei­nischer Vorlagen. Mit der Cantio O Maria, pia (G 9) gehört zudem das einzige lateinische Lied des Corpus zu dieser Gruppe.

Insgesamt zielt das Projekt darauf, den Gebrauchscharakter der Marienlieder – d.h. die Frage nach Form, Inhalt und Funktion – aus einer dezidiert interdisziplinären Perspektive zu beschreiben, die germanistische, frömmigkeitsgeschichtliche sowie kulturhistorische Frageinteressen verbindet. Mich interessiert folglich nicht allein, welches Marienbild der Mönch in Auseinandersetzung mit seinen Quellen entwirft; vielmehr möchte ich darüber hinaus klären, wie die Lieder rezipiert werden und auf welche religiösen Bedürfnisse sie zugeschnitten sind. Die Untersuchung geht dabei von der Frage aus, wie die dem Mönch zugeschriebenen Lieder vor dem Hintergrund ihrer Hinwendung zur lateinischen Liedkunst zu deuten sind. Die auf formale Imitation abzielende Übertragungsweise des Mönchs wird für mich insofern zum Ansatzpunkt, um insgesamt nach dem Sinn der Lieder zu fragen. Mit Hans J. Vermeer verstehe ich den Übertragungs- und Aneignungsprozess der lateinischen Liedkunst dabei nicht einfach als Ersetzung eines sprachlichen Systems a durch ein anderes sprachliches System b, sondern als „Neuvertextung einer ‚Botschaft‘ […] in einer neuen kulturellen Umgebung auf deren Bedürfnisse hin“ (Vermeer 1994, S. 38). Die einzelnen Übertragungen vermitteln demzufolge nicht einfach zwischen zwei Sprachen – hier: dem Lateinischen und dem Deutschen –, sie vermitteln vielmehr zwischen zwei verschiedenen Kulturen, nämlich der lateinisch geprägten, klerikalen Kultur des Hochmittelalters, in der Lieder ursprünglich entstanden sind und in der sie eine liturgische Funktion erfüllt haben, und der Kultur des Salzburger erzbischöflichen Hofes des ausgehenden 14. Jh., für den der Mönch gearbeitet hat, und deren divergierenden Erwartungen an die Texte. Der Transfer in neue zielkulturelle Verknüpfungen schließt somit inhaltliche und funktionale Neuausrichtungen der Übertragungen ausdrücklich ein, die dann – ebenso wie die formalen Besonderheiten – als Antwort auf die Bedürfnisse der Zielkultur zu lesen sind.